INTERAKTIONSLABOR

 

Interdisziplinäre Bereicherung

3. Internationales Interaktionslabor im Saarland (18. bis 31. Juli 2005)

Johannes Birringer antwortet Uschi Schmidt-Lenhard

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Dr. Johannes Birringer ist Medienkünstler, Choreograf und Forscher an der Nottingham Trent Universität in Grossbritannien. Er leitet dort ein digitales Designstudio und bereitet zur Zeit einen internationalen Workshop über “digitale Kulturen" vor, der Ende November in Nottingham stattfinden wird. In diesem Sommer leitet er zum dritten Mal das Interaktionslabor in Göttelborn.

 

Frage: Wie unterscheidet sich der diesjährige internationale Workshop von den anderen beiden, die 2003 und 2004 stattfanden?

Johannes Birringer: Die Lage ist politisch und finanziell angespannt in dieser Region, und wie alle wissen, sind die Mittel für Kultur und Kunst eingefroren worden. In diesem Jahr konzentrieren wir uns auf Forschung, und bewegen uns damit auch stärker auf die ursprüngliche Idee einer solchen Medienwerkstatt hin, die sich mit Softwareentwicklung, Forschung sowie der Herstellung von Prototypen beschäftigt, und dazu Fachleute aus der Region und aus Europa bzw. Übersee anzieht. Wir werden diesmal auch auf die öffentliche Präsentation unserer Arbeiten weitgehend verzichten. Es hat sich herausgestellt, dass damit Erwartungen beim Publikum und bei den Kritikern entstanden sind, die nicht gerechtfertigt waren. Nach 14 Tagen Zusammenarbeit können wir keine fertigen Kunstwerke zeigen, sondern nur Stadien eines Designprozesses. Unser Hauptaugenmerk ist ja auf interaktive Medien und Interface-Design gerichtet. Das ist bei neuen und kreativen Projekten nicht sofort zu vermitteln. Andererseits sucht man immer ein Publikum, damit solche Interfaces auch getestet werden können. Unser Labor wird Projekte skizzieren, und erste Programmierungen durchführen. Die Projekt-partnerInnen finden sich und vervollständigen ihre Arbeiten dann selbständig

Frage: Kannst Du hier Beispiele erzählen über die Vervollständigung von Projekten?

Johannes Birringer: Ein Architekturprojekt über interaktives Wohnen wurde von Marion Tränkle und dem kanadischen Ingenieur Jim Ruxton letztes Jahr im Modell vorgestellt, und die beiden haben sich mittlerweile in Toronto wieder zusammengefunden, um daran weiterzuarbeiten, und das zweite Modell wurde im Mai auf einem Kongress in Kanada vorgestellt. Camille Turner, ebenfalls aus Kanada stammend, war Teilnehmerin des Labors 2003 und 2004, und verfasste zusammen mit dem Brasilianer Paulo C. Chagas und dem Göttelborner Willi Meiser einen Dokumentarfilm, der sich mit der Erinnerung auseinandergesetzt und Verbindungen zu ihrer eigenen Lebensgeschichte (ihr Vater war auch Bergmann) wie auch zwischen der Schutzheiligen (St. Barbara) der Bergleute und ihrer afro-karibischen Yoruba-Religion herstellte. Bei diesem Film wirkte auch ein Quierschieder Männerchor mit, und es entstanden beeindruckende Bilder aus der sich wandelnden, verlassenen Industrielandschaft.

Frage: Und Camille Turner hat ihre Arbeit auch mit Hilfe von Paul Smith technisch vervollständigt. Das sind Beispiele, wie sich die internationale Zusammenarbeit zwischen Menschen künstlerisch auswirkt.

Johannes Birringer: Richtig, es entstanden eine Reihe von menschlichen Beziehungen, die so nicht vorhersehbar waren. Aber es gibt nicht nur künstlerische Verknüpfungen, sondern auch technische Entwicklungsebenen. Paul Smith, der diesmal zum dritten Mal dabei ist und drei weitere Teilnehmer aus Bristol und London mitbringt, arbeitet kontinuierlich an der Weiterentwicklung eines interaktiven Softwareprogramms, das auf Bewegung im Raum und körperliche Aktion reagiert, dabei Bild- und Klangmaterial eines virtuellen Environments steuert. Bei meinen eigenen Untersuchungen von Stimme, Bildgestaltung, und Sensorik, in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Paulo C. Chagas, handelt es sich um den Versuch, eine Geschichte über Wahrnehmung zu schreiben. Dieser Prozess wird in eine fünfkanälige DVD-Produktion münden, die wir Ende dieses Jahres abschließen wollen. Gleichzeitig arbeitet unsere Gruppe mit dem Berliner Medienforscher Götz Rogge an einer Internet-Installation mit meditativen Elementen aus der Waldlandschaft in der Umgebung Göttelborn-Heusweiler (Urwald).

 

Frage: Alle Laborteilnehmer, die ich in den vergangenen Jahren gefragt habe, betonen die Außerordentlichkeit dieses Labors. Worin liegt für dich seine Besonderheit, wie würdest du sie beschreiben?

Johannes Birringer: Ein Medienlabor ist eigentlich eine vernetzte Computer-Werkstatt, wir arbeiten ja vorwiegend mit digitalen Medien. Deshalb ist der Ort selbst, diese paradoxe Industrielandschaft der Vergangenheit, eine eigenartige Inspiration, ein Wegweiser, denn andererseits liegen die Quellen kreativer Wissenschaft heute nicht mehr in der Erde, sondern im mikrozellularen Bereich. Künstlerische Computerwissenschaft sucht heute Querverbindungen zur Biologie, Genetik, Nanotechnologie und Robotik, und die Herausforderungen stellen sich im Dialog mit verschiedenen Disziplinen des Wissens über den Menschen, andere Arten, die Umwelt, d.h. uns geht es dabei immer um Integration und interaktive Kontexte, in denen die Erweiterung des Mach- und Vorstellbaren im kreativen Schaffensprozess reflektiert werden kann. Wir begegnen ständig der unglaublichen Mutationsfähigkeit und Manipulierbarkeit der digitalen Daten, wobei uns aber vor allem ein soziales Konzept der Interaktion interessiert, das mit persönlicher Verantwortung und Körpererfahrung verbunden ist. Leider ist unser Labor inzwischen international besser bekannt als im Saarland selbst, was aber auch damit zusammenhängt, dass die Forscher, die uns besuchen, an verschiedenen Hochschulen im Ausland tätig sind.

 

Frage: Das Labor besteht also eigentlich nicht nur während der zwei Wochen im Juli.

Johannes Birringer: - Im Grunde besteht das Labor während des ganzen Jahres, wir haben ein Netzwerk, eine Gruppe, die sich beständig austauscht. Weitere Verknüpfungen entstehen dadurch, dass sich dieser Austausch vervielfältigt. Zum Beispiel arbeite ich zur Zeit an einem Buch über Körpersensorik und Neurowissenschaft, und die Visualisierungstechnologien und Datenintegration der Hirnforscher beruhen auf ähnlichen Softwareprogrammen, wie wir sie z.B. bei unseren Bewegungsanalysen benutzen. Außerdem hat sich seit letztem Herbst eine Prototyp-Entwicklung im Mode- und Textildesign in Zusammenarbeit mit Forschern aus Nottingham und Neuseeland angebahnt; hierbei geht es uns um Tests mit den Möglichkeiten “intelligenter Kleidung," d.h. transduktorischen Stoffen, in denen Sensoren und mobile Telekommunikation in das Design integriert sind. Es ist ein ganz spannender Prozess, und meine Forschergruppe ist bereits zu einer Ausstellung des Prototyps in Herbst eingeladen worden.

 

Frage: Aus welchen TeilnehmerInnen setzt sich das Labor in diesem Jahr zusammen?

Johannes Birringer: - In diesem Jahr sind wir eine kleinere Gruppe von Forschern und Künstlern aus der Region und Deutschland, dann Paul Smiths Gruppe aus England, sowie Teilnehmer aus Portugal, Frankreich, Japan, und den USA. Wir werden die Projekte auf unserer Website darstellen (http://interaktionslabor.de).

 

Frage: Wie wird es weitergehen?

Johannes Birringer: Mit unserem sehr kleinen Etat müssen wir dieses Jahr vorsichtig umgehen, denn wir sind jetzt ein unabhängiges Labor und müssen uns tatkräftig um Einnahmen und Sponsoring bemühen. Allerdings sieht es schon besser für 2006 aus, denn unser Labor, zusammen mit Partner-Institutionen in Athen, Sofia, und Amsterdam, gewann einen beträchtlichen Förderpreis (150 000 Euro) von der Europäischen Kommission (Culture 2000) in Brüssel, für das “I-Map³ Projekt, das an den vier Standorten entwickelt werden wird. Unser Plan sieht vor, ein integriertes Mediensystem zu bauen, das Benutzern an vier verschiedenen Orten gleichzeitig die Möglichkeit gibt, in virtuellen Räumen zu agieren und einen gemeinsamen Ort der Bilder und eine gemeinsame Dramaturgie der Kommunikation zu entwickeln.

Auch dieses Konzept ist unserer Vision verpflichtet, Impulse zu geben für soziale Interaktion mit kreativen Mitteln der audio-visuellen Medien, die theatrale Spielformen, Musik, Film, Geschichten, aber auch Lebensformen und neue Sichtweisen vermitteln. Die digitalen Medien haben ja letztendlich tiefgreifende Auswirkungen auf unser Bewusstsein, auf kulturelle Vorstellungen und unsere Sozialisation in einer globalisierten Welt. Unser kleines Labor in Göttelborn passt gut zur Photovoltaik-Anlage der City Solar AG auf dem Hügel, denn auch wir produzieren Energie, allerdings eher für soziale Integrationen von dynamischen Medien. Wir wollen verständlich machen, dass Medien keinesfalls nur konsumierbar sind, sondern aktive Techniken, mit denen wir handeln.

 

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