(Ende der Welt)
"Richten Sie Ihr Ohr nach Norden und wenden Sie Ihr Auge zum Horizont! Bougainville, glückloser Entdecker und Namensgeber einer der schönsten Blumen der Welt, tat nichts anderes. Er suchte einen stillen Ort am Cap, setzte sich auf einen zierlichen Holzstuhl und sah aufs Meer hinaus. So lange, bis er auf einen neuen Gedanken kam."
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Wie kommt das Neue in die Welt? Kann man es finden oder muss man es er-finden? Muss man reisen bis ans Ende der Welt? Oder an Ort und Stelle warten auf die Erleuchtung, die zündende Idee? Verheißt stille Kontemplation neue Einsichten und Bewusstseinsveränderung? Oder muss man voll Tatendrang die Segel hissen, die Weltmeere bezwingen, um im Unbekannten Anker zu werfen? Louis-Antoine de Bougainville schlug, wie es sich für neuzeitliche Entdecker gehört, den großen Seeweg ein und kehrte am 16. März 1769 als erster Franzose von einer Weltumseglung heim. Fielen die spektakulären Entdeckungen in die Frühe Neuzeit, so war Bougainville ganz schlicht zu spät: ein Nachgeborener, dem sich in der Linse des Fernrohrs keine neuen Kontinente mehr zeigten. Was nun? „Nachdem ich um die Welt gesegelt bin und alle 360 Grade umrundet habe, möchte ich die Welt wieder in kleinen Winkeln betrachten und mir den Rest denken.“ Bougainville zieht sich in die Normandie zurück ans Cap la Hague, nimmt sich einen Stuhl und begrenzt den einst weit schweifenden Blick durch die Leisten von Fenster- und Bilderrahmen.
Aufführung im KuBa Saarbrücken
20. November 2008 (Premiere)
Den wundersamen Blick über die Grenzen unseres Horizonts hinaus führen
die Performance-Künstler vom Liquid Penguin Ensemble als Methode vor. Ihre
Mittel sind nicht beflügelnde Erzählkunst allein; sie sind experimentell
erprobte und erprobende Ingenieure des Hörens und Sehens. Frei von vorgegebenen
Konstruktionen und Berechnungen bleibt das Denken jedoch dem Publikum selbst
überlassen. Ohren, Augen und Gedanken dürfen durch die Architektur
aus Musik, Klang, Raum, Bildern und Geschichten wandern, die in der alten Kantine
des Kulturbahnhofs (KuBa) ungewohnte und überraschende Wege einschlagen
können.
Wer dem Ensemble auf die Expedition in den Kulturbahnhof folgt, wird verwundert
und mit neuen Ideen wieder aus ihm herausschauen. (Na-Young Shin)
Alles weitere Wissenswerte zu "bout du monde / Ende der
Welt" zur gefälligen Beachtung im Anhang!
"bout du monde / Ende der Welt" findet im Rahmen von "strukturwandel
- neues hören und sehen" von Netzwerk Musik Saar statt. Dieses auf
vier Jahre angelegte Projekt hat sich der ästhetischen, künstlerischen,
musikalischen und pädagogischen Aufarbeitung des momentan bestimmenden
Themas "Strukturwandel" im Saarland verschrieben. Es verfolgt dieses
Ziel mit themenbezogenen künstlerischen und pädagogischen Projekten
der Neuen Musik und verwandter Musik- und Performancestile. Das Projekt ist
Teil des bundesweiten Netzwerks Neue Musik, das die Kulturstiftung des Bundes
zur Vermittlung Neuer Musik initiiert hat.
Aufführung im Wasserturm
23,. Juni 2009
U n d j e t z t . . . d a s H Ö R S P I E L :
B O U T D U M O N D E - E N D E D E R W E L
T
Recherche zu den Horizontbetrachtungen des Louis-Antoine de Bougainville
Wir freuen uns außerordentlich, dass wir wieder ein Hörspiel mit
und
für den Saarländischen Rundfunk produzieren durften! Arbeitsame Wochen
liegen hinter uns nun ist es also fertig.
Und darum laden wir gemeinsam mit der Hörspielredaktion des SR Sie und
Euch herzlich ein
zur öffentlichen Aufführung unseres Hörspiels
am Dienstag, den 23. Juni 2009
um 20 Uhr 30
im Wasserturm in 66265 Heusweiler / Ortsteil Holz, Saarstraße
von dessen luftigen Höhen aus wir an diesem Sommerabend einen
ungehinderten Blick bis zum Horizont haben werden.
http://www.netzwerk-musik-saar.de/
http://www.netzwerkneuemusik.de/
Katharina Bihler / Stefan Scheib
www.liquidpenguin.de
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Bout du Monde: Eine Beschreibung
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Na Young Shin
1
In kleinen Gruppen gewährt eine Frau in signalgelbem Rock den Besuchern
der Performance Einlass. Das streng nach vorn gereckte Kinn signalisiert: Hier
sind Ruhe und Aufmerksamkeit geboten. Doch, weshalb? Man sieht und hört
erstmal: nichts – sieht nur einen leeren Kantinenraum aus den Sechzigern,
zwei große ockerfarbene Falttüren aus Kunststoff, ein paar weiße
Deckenleuchten. Die Frau zückt eine kleine Taschenlampe, zirkelt mit dem
Lichtstrahl das ein, was mir ganz banal eine Kantinentheke mit Alujalousie scheint,
und klärt auf:
„Jacques Regard war ein Künstler des Übergangs zwischen abstrakter
Malerei und Konzeptkunst. Seine Installationen verstand er als Anleitung zur
Veränderung der Wahrnehmung und - wie schon Marcel Duchamp - nie als retinale
Kunst, die effekthascherisch auf das Auge einwirken will. Sie sehen hier "gris
encadré" aus dem Jahr 1962...“
Aha, ich bin also in eine Kunstausstellung geraten!
Die Museumsführerin entfaltet mit heiligem Ernst eine Fülle an kunsthistorischer
Expertise, Materialkunde und in ihrer hermeneutischen Dichte überzeugenden
Werkinterpretationen. Faszinierend der geometrische Purismus des „ocre
plié“, die kühle Sperrigkeit der „barrière anthracite“
aus Bakelit. Was ich eben noch für milchverglaste Durchreichfenster zur
Essensausgabe hielt, trägt den Titel: „l’aveugle - die Blinde“.
So mancher Besucher schaut staunend durch die Kantine, andere werfen sich feixende
Blicke zu. Ist dieser Regard echt? –
Mein Blick streift einen Betonpfeiler – vielleicht ein spätes Werk?
Anweisung an die Besucher, mit ihren Schemeln die Sitzrichtung zu wechseln.
Ich schaue jetzt schräg auf „l’aveugle“, in deren milchiger
Iris sich etwas regt. Ein dunkler Ton streicht durch den Raum. Es folgen weitere,
hellere Töne - woher? Ich verdrehe meinen Hals, mein Schemel knirscht.
Das Milchglasfenster wird hochgeschoben und die Musik des bislang im Verborgenen
spielenden Streichtrios schwappt zu uns heraus.
Ich sitze in einer alten Kantine in einer Ausstellung vor einem Durchreichfenster,
das ein Kunstwerk war oder ist (?), und sehe und höre ein Konzert.
2
Regards Thema des „gerahmten Blicks“ sei inspiriert durch die historische
Person des Weltumseglers Louis-Antoine de Bougainville. Begleitet von den Streichern
liest die Museumsführerin aus dessen Tagebucheinträgen. Wort, Musik
und Geräusch entspinnen eine rhythmische Dramaturgie. Bougainville habe
seine Wendigkeit im Alter nicht mehr durch große Reisen auf die Probe
gestellt, sondern sich ans Cap de La Hague zurückgezogen, um auf einem
zierlichen Stühlchen sitzend aufs Meer zu schauen und seine Wahrnehmung
mittels kleiner, handlicher Bilderrahmen beschränkend zu erweitern:
"Ich habe festgestellt, dass mein Experiment desto interessanter wird,
je kleiner ich den Rahmen wähle, durch den ich schaue. Im Verhältnis
vergrößert sich so das Objekt, das darin erscheint - der Arm von
François, der draußen den mageren Boden harkte, erschien mir heute
sehr einzigartig, auserwählt und bevorzugt vor allem anderen. Eine gänzlich
von seinem Körper losgelöste Elle - sehr vorteilhaft für die
widmende Betrachtung.“
Bratsche, Cello und Kontrabass setzen zum letzten, lang gehaltenen Ton an. Als
wollten die Musiker prüfen, wie viel Zeitlupe ihre Instrumente auszuhalten
vermögen, ohne dass die Vibration der Saiten ins Schweigen kippte. Und
plötzlich: die Zeit, sie steht. Es dauert eine Weile, bis das Großhirn
die Information verarbeitet hat, während Augen und Ohren noch um ihr Informationsmonopol
streiten. Die Musiker verharren mit gestrichenem Bogen in erstarrter Pose, der
Ton bleibt und bleibt und überdauert seine Erzeuger. Ich sitze in einer
Kunstausstellung oder einem Konzert, höre einen historischen Vortrag über
einen Weltumsegler, der sich nicht mehr von der Stelle rührt, und höre
Musik, die stillsteht.
3
Damit der Geist bei allem Sitzen wendig bleiben möge, werden wir aufgefordert,
uns in den zweiten Raum zu begeben. Das Streichtrio spielt jetzt - im Kontrast
zum Vorangegangenen - in intimer Nähe zum Publikum in einem von Licht und
Schatten gezeichneten „Carré“. Spiegel reflektieren „Carrés“
an die Wände. Auf Französisch führt uns „Madame Charlatane“
durch die Kunstgeschichte des Quadrats. Man sollte nicht meinen, dass sie über
Malewitsch referierte: Gekleidet in weitem Kaftan, gestikuliert sie, als wolle
sie seine weißen Quadrate auf dem Basar verkaufen und verführt mit
dem „carré blanc sur fond blanc“ unser Denken: schwarz-weiß,
Licht-Schatten, wahr-falsch, Lüge-Wahrheit – alles eine Frage von
Vorder- und Hintergrund. Vortrag und Musik verknüpfen sich zu einem Rhythmus
aus Körpern, Perspektiven, Gesten, Tönen und Lauten. Ein ahnungsloser
Zuschauer wird von Madame gebeten, auf einem weißen Blatt Papier die „conclusion“
des Abends festzuhalten. Ich bin in einer Ausstellung, nein, bei einem historisch-geografischen
Vortragskonzert, auf einem kunsthistorischen Basar und: „La conclusion?
Qu’est-ce que c’est?“
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Inzwischen sitze ich mit den anderen Besuchern an der breiten Fensterfront des
Raumes. Vorhänge werden zur Seite gezogen. Die Fensterrahmen geben den
Blick auf einen Parkplatz frei. Auf der Fensterbank liegen Operngläser.
Ich sitze und lausche den Musikern in meinem Rücken. Und wie zur Strafe,
dass ich nach all den Ausführungen über Regard, Bougainville und Malewitsch
immer noch meine zu sehen, was ich höre, und immer noch denke, was ich
wahrnehme, da wird mir im Fensterrahmen eine höchst unwahrscheinliche Scharlatanerie
geboten: Kunstexpertinnen und Musiker, bepackt mit Kontrabass, Cello und Bratsche,
steigen im Licht der Straßenlaterne in ein Auto, um in die Ferne aufzubrechen.
Publikumsstühle rücken und ruckeln, Hälse recken und drehen sich,
Augenpaare blinzeln nach draußen und wieder zurück in den leeren
Raum: die Musik ist noch da, doch keine Musiker. Draußen regnet es und
die Tropfen klopfen an die Fensterscheibe. Meine Performance ist mir weggelaufen.
Ich sitze in einem leeren Raum auf leerem Grund.
Die Reisenden sind an ihrem Ziel angekommen. Wir Sitzenden beobachten, wie sie
aus dem Auto klettern und ein kleines Gebäude jenseits des Parkplatzes
betreten und sich hinter erleuchteten Fensterrahmen einrichten. Die Musiker
setzen zum Streichkonzert an und aus der Ferne wandern nun barocke Melodien
zu uns herüber. Die knisternden Töne klingen, als sei ihre Reise über
den Parkplatz bis in unser kleines Fenstertheater hinein eine Reise durch die
Jahrhunderte. Ich sitze auf einem Logenplatz in einem Raumschiff und die Bühne,
auf die ich schaue, ist Lichtjahre entfernt. Ich höre Musik und das ferne
Rauschen des Meeres. Kann mir jemand noch mal die Relativitätstheorie erklären?
Aus den Lautsprechern ertönt ein Radiofeature über die „Bewegung
16. März“. Immer mehr Menschen zögen im Andenken an Bougainville
ans Cap de La Hague, setzten sich auf einen Stuhl, beobachteten den Horizont
und erwarteten einen neuen Gedanken. Ich lausche dem seltsamen Bericht über
diese seltsamen Menschen und plötzlich stelle ich fest: Dort sitzen sie
und schauen aufs Meer, und hier, ja, hier sitze ich. Voilà, la conclusion!
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BOUT DU MONDE – Ende der Welt
Deutsche Akademie der Darstellenden Künste:
Die Jury der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste
benennt zum Hörspiel des Monats Juni 2009: BOUT DU MONDE
jury statement/erklärung
Dieses Hörspiel ist eine kunstvolle Komposition aus Meeresrauschen, Möwenkreischen, Musik und pseudodokumentarischen und imaginären historischen Texten. Ausgehend von der Biografie des französischen Weltumseglers Louis Antoine Bougainville führt uns das Liquid Penguin Ensemble in ein fiktives Museum von Bougainvilles Horizontbetrachtungen. Der Ort an der französischen Atlantikküste, an den sich der Seefahrer in seinen letzten Lebensjahren zurückgezogen haben soll, zieht viele Nachfolger an, die am Strand sitzen und durch einen Rahmen auf das Meer schauen. Diese Beschreibung einer imaginären Schule der Horizontbetrachtung verknüpfen Katharina Bihler und Stefan Scheib, die das Liquid Penguin Ensemble bilden, mit Überlegungen zu Kartografie, Abstraktion, Erkenntnis durch Reduzierung und Entschleunigung. Hinzu kommen Musiker (ein Trio, das passenderweise "Hors du cadre" heißt), die das, was sie sehen – „Zirrus, so feine, weiße Fadenwolken.. auf- und abtauchende Schiffe“ – in Töne übersetzen. So eröffnen die Autoren mit Phantasie und sanfter Ironie einen weiten Assoziationsspielraum, in dem die Hörer die Gedanken treiben lassen können. Und wie die „Sitzgäste“ in Pointe de la Loge möchte man einfach nur noch sitzen und der Museumsführerin mit dem charmanten französischen Akzent zuhören, die erklärt, dass manche Gäste seit Jahren hier sind und Ebbe und Flut ungerührt an sich vorbeiziehen lassen. Dieses Stück zu hören ist, als bekomme man unverhofft einen Urlaubstag am Meer geschenkt.
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insect
Das Liquid Penguin Duo ist am Wochenende des 11. Juli, 2009,.
in Trier beim Neue Musik Festival „Mensch
am Limit“ mit seiner InstallationsPerformance INSECT zu Gast.
Das reichhaltige Festivalprogramm beginnt schon Donnerstagabend, und Liquid
Penguin haben die Ehre, den zirpenden und summenden Schlusspunkt des Samstagabendprogramms
zu setzen:
Liquid Penguin Ensemble:
i n s e c t .
InstallationsPerformance für Stimme, Kontrabass, Insektenklänge und
Elektronik
am Samstag, den 11. Juli 2009
um 23 Uhr
im Stadttheater Trier / Großes Haus
Diese InstallationsPerformance hat sich als Objekt der Belauschung
und leise summenden Motor der kompositorischen Entwicklung die Welt der Insekten
erwählt.
Aufnahmen der Gesänge von Heuschrecken, Grillen und anderer Sechsfüßler
(insbesondere aus tropischen Regenwäldern), die dem Ensemble vom Grazer
Professor für Zoologie Prof. Dr. Heiner Römer zur Verfügung gestellt
wurden, bilden dabei das sehr lebendige, akustische Grundmaterial, das zur Kommunikation
herausfordert: Imitation und Simulation, Mutmaßung und Übersetzung,
Dialogversuche und Transformation sind die Prozeduren, denen es mit den Mitteln
von Instrumentalklängen, Stimme und Elektronik unterzogen wird. Prozeduren,
um zu verstehen, welche Musik da im Gestrüpp gespielt wird – und
welche Liebe dort geschworen wird.
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Texte und Kommentare zum Labor 2009 werden hier veröffentlicht
Texts and commentaries on the 2009 lab and related research subjects will be published here.