CRITICAL WRITINGS / KRITISCHE TEXTE

 

no.6

 

Die Kunst zu verschwinden / The Art of Disappearing

Verena Lueken

(.Eine Architektur, die vom Verschwinden handelt: der Transformer auf dem Gelände des Königspalast von Seoul)


Weiß ist es und eckig, hart in der Struktur und weich in den Oberflächen. Es sitzt fremd, aber nicht abweisend im Gras vor dem Gyeonghui-Palast im Zentrum von Seoul wie ein Meteorit, der das graue Brett von Schwüle, das über der Stadt hängt, durchschlagen hat, als er vom Himmel fiel. Das „Transformer“ genannte Gebilde, das Rem Koolhaas und seine Architekten für das Modehaus Prada gebaut haben, ist ein merkwürdiges Ding. Die Stahlträger, aus denen es zusammengesetzt ist, bilden Kreise oder Kreuze, Vierecke oder Sechsecke. Jede dieser Flächen kann Boden sein, Wand oder Decke, und je nachdem, wie man das Ding dreht oder kippt - was ein paar Kräne in wenigen Tagen schaffen -, wird ein offener, lichter Raum daraus oder ein Kino, Galerie oder Laufsteg.


Über diese Struktur, die dem Ding seine Form gibt, ist eine helle, durchsichtige Membran aus einem extrem dehnbaren Material gespannt, wie es sonst zum Abdecken schwerer Maschinen benutzt wird. Wenn man einen Finger in diese Haut des Gebildes steckt, verschwindet er fast völlig, und wenn man ihn zurückzieht, verschwindet die Delle ebenfalls langsam wieder. Auch sonst handelt dieses Gebäude vom Verschwinden. Im September ist es wieder weg.

 

Liebe zum Neuen

( Eine provisorische Architektur für eine Stadt des permanenten Neubeginns. Der Würfel wird im September wieder verschwinden. Photo: Yubi Rental )

 

Für Bauten, die verschwinden, gibt es vielleicht keinen besseren Ort als Südkorea. Alle Bauten verschwinden hier, nicht ganz, aber fast so schnell wie der Transformer, der am Ende sechs Monate in Seoul gestanden haben wird. Im Vergleich zum ständigen Abriss und Neubau in Seoul ist New York eine in ihrer Gestalt beständige Stadt. Auch der historische Gyeonghui- Palast aus dem sechzehnten Jahrhundert, vor dem am Wochenende Karate- und Tanzvorführungen stattfinden und um den herum gepicknickt wird, ist keineswegs alt, sondern ein Nachbau von vor kaum fünfzehn Jahren aus Beton. Und wenn man sich die Menschen ansieht, die im Gehen auf ihren Mobiltelefonen Fernsehen schauen, modisch auf den letzten Schrei gekleidet, Männer wie Frauen und keineswegs nur die ganz Jungen, sieht man, dass das immer Neue hier in besonderem Maß geliebt wird.


Das alles gibt dem Raum um den Transformer herum die eigentümliche Ausstrahlung eines außerweltlichen Orts - die Kulissenhaftigkeit einerseits und die fast absurde Modernität andererseits des Drumherums, der vorübergehende Charakter der Architektur, die in ihrer avanciertesten Form in Miuccia Prada seit langem eine Förderin hat, das Zusammentreffen von Verspieltheit und roher Form und schließlich auch die Verschiedenartigkeit der Ereignisse, die in diesem Gebilde nacheinander stattfinden, aber in seiner Form bereits vorscheinen oder nachhallen. Im Mai war eine Installation mit Röcken zu sehen. Da diente das Sechseck als Boden. Nach der Rotation in der vorvergangenen Woche ist das Viereck zum Boden und das Sechseck zur Rückwand eines Kinos geworden, wobei man in dieser Form des Gebäudes tatsächlich von Rückwand sprechen kann, weil die Blickrichtung klar ist: zur Leinwand hin. Wenn dann im Juli das Kreuz den Boden für eine Ausstellung der dänischen Künstlerin Nathalie Djurberg bilden wird, wird es mit Vorne und Hinten nicht mehr so einfach sein.

 

Störender Lichteinfall

Der Transformer ist ein riesiges, schwieriges Projekt, aber als Kino wirkt er klein, familiär, überschaubar. Hundert Sitzplätze steigen trapezförmig angeordnet vor der nicht sehr großen Leinwand nach oben, bequemer als alles, was man sich als normaler Kinobesucher vorstellen kann, mit freier Sicht von jedem Platz aus und einem passablen Ton. Das Einzige, was bei der Umwandlung von einem Raum für Röcke zu einem für Filme nicht geklappt hat, ist die Verdunkelung. Die planen Flächen des Transformers sind mit schwarzem Filz, den Magneten an den Stahlträgern festhalten, lichtundurchlässig gemacht worden. Jene Flächen aber, für die ein Geodreieck keine Schablone hat, die gekrümmt sind und mit den anderen erst das Tetraeder bilden, das der Transformer ist, lassen sich nicht so leicht abdecken. Das Licht, das durch die Membran fällt, ist wunderschön, in weichen Tönen marmoriert. Wenn man Filme sehen will, kann man es aber nicht brauchen.


Das war auch die Meinung von Alejandro González Iñárritu, der das Filmprogramm für das kleine Festival mit dem Namen „Flesh - Mind - Spirit“ im Transformer zusammengestellt hat. Ganz so deutlich sagte er es nicht auf der Pressekonferenz am Eröffnungstag, aber der Konflikt, den er da über die allgemeine Frage von Museumsarchitektur und ob sie nicht ausschließlich im Dienste der Kunst stehen müsse, mit Alexander Reichert von OMA, dem Büro von Koolhaas, austrug, hatte eine Emotionalität, die darauf schließen ließ, dass es nicht um die Tate Modern ging. Sondern um den Transformer. Am Nachmittag - die Premiere war um halb sechs, es war taghell draußen, und drinnen herrschte eine sanfte erste Dämmerung - hingen dann wie in einer Schulaula schwarze Vorhänge an einem Drahtseil vor den lichtdurchlässigen Abteilungen des Baus, und es sah schrecklich aus. Warum man nicht ausschließlich Abend- und Nachtvorstellungen geplant hatte, um das ganze Problem zu umgehen, ließ sich nicht erschöpfend klären.

 

Subjektive Auswahl


Auch im Halbdunkel allerdings war der erste Film eine Überraschung. Es wurde „Lonesome“ gezeigt, ein Stummfilm von 1928, den der Ungar Paul Fejos für Universal drehte. Dazu spielten der Flötist Andrea Griminelli und die Pianistin Irene Veneziano live mit einer solchen Leidenschaft und Witz und Tempo Stummfilmmelodien und rasende Läufe, die schließlich mehr und mehr auf Puccini hinausliefen, dass die Tränen flossen. Dazu kam, dass „Lonesome“ ein sehr selten gezeigter und erst kürzlich restaurierter Film ist, voller Erfindungen, entfesselt mobil gedreht, dazu komisch, bewegend, romantisch, so, wie es auch Paul Fejos gewesen sein muss, der als Bakteriologe anfing und, nachdem er das Filmgeschäft an den Nagel gehängt hatte, als Forschungsreisender die Südsee erkundete.

 

(Aufmarsch weiblicher Unterkörper: mit wenigen Drehungen lässt sich die Raumstruktur, hier während einer Ausstellung, verändern)

 

Iñárritu hat gemeinsam mit dem New Yorker Filmkritiker Elvis Mitchell ein Programm für zwölf Tage zusammengestellt, das sich weder um einen Kanon kümmert noch um das amerikanische Kino, noch um, bis auf die Eröffnung, den frühen Film. Stattdessen stehen zum Beispiel Marco Bellocchios Debüt „Fists in the Pocket“ von 1965 auf dem Programm und „Letztes Jahr in Marienbad“ von Alain Resnais aus dem Jahr 1961, Lucrecia Martells Debüt von 2001, „La Ciénaga“, der kubanische Revolutionsfilm „I am Cuba“ von Mikhail Kalatozov von 1964 oder auch „You, the Living“ des Schweden Roy Anderson von 2007, der koreanische Western „The Good, the Bad, and the Ugly“ von Jiwoon Kim, der demnächst auch in Deutschland ins Kino kommt, und schließlich „Aguirre, der Zorn Gottes“ von Werner Herzog aus dem Jahr 1972, den Iñárritu unter der Rubrik „Flesh“ führt. Es ist also eine radikal subjektive Auswahl, über die sich weder streiten noch urteilen lässt. Iñárritu, der für ein paar Tage nach Seoul gekommen war, um sie vorzustellen, betonte wiederholt, dass es ihm vor allem darum ginge: die Koreaner mit diesen Werken bekanntzumachen. Was bei einem Kino mit hundert Sitzen so eine Sache ist.

 

Keine glückliche Verbindung


Man wurde in diesen Tagen den Eindruck nicht los, dass die Verbindung von Architektur und Film keine ganz glückliche ist. In einen Bau, den man drehen, kippen, auf den Kopf stellen kann, dessen transluzente Außenhaut aus einem grauen Tag ein überirdisches Licht filtert (wenn man sie lässt) - für so ein merkwürdig zauberhaftes Ding ein konventionelles Filmprogramm zusammenzustellen, das nur eine rechteckige Leinwand braucht, ein Tonsystem und ein paar Sitze, ist, von der Architektur aus gesehen, natürlich eine Verschwendung. Der Bau wagt alles, Iñárritu nichts, könnte man sagen.

 

(Ein bisschen wie ein Meteorit wirkt der Transformer vor dem alten Königspalast von Seoul)

 

Wenn man zum ersten Mal den Raum betritt und die Leinwand da hängen sieht, wirkt das enttäuschend uninnovativ. Andererseits sind Filme meistens dafür gemacht, sie auf eine gerade Fläche zu projizieren und drumherum für Dunkelheit zu sorgen, damit man etwas sieht. Und eine Architektur, auch das könnte man sagen, die als Kino funktionieren soll, muss darauf Rücksicht nehmen. Hätte man im Transformer nicht auch ein Zirkuszelt erkennen können, gerade so, wie das Kino ja auch noch die Erinnerung an seine Anfänge auf dem Rummelplatz in sich trägt, und darin etwas Gemeinsames entdecken, inszenieren?

 

Im Verschwinden versöhnt


Vielleicht aber ist ein Filmprogramm wie dieses in diesem Raum auch eine Defensivmaßnahme. Iñárritu wies immer wieder darauf hin, dass Filme ins Kino gehören und nicht aufs Display eines Mobiltelefons und eigentlich auch nicht auf DVD, und entsprechend hat er die Filme ausgewählt. Er will das Kino, diesen dunklen Raum mit Leuten vor einer eckigen Leinwand, solange es irgend geht erhalten, und er kämpfte in Seoul mit seiner ganzen muskulösen Männlichkeit wortreich dafür, dass auch die jungen Leute das so sehen.


Koolhaas und seine Mitarbeiter wiederum denken sich Räume aus, wie sie nie gewesen sind, die den Blick und die Erfahrung öffnen. Obwohl Architektur und Film in diesem Fall also in entgegengesetzte Richtungen unterwegs waren, funktionierte irgendetwas in Seoul in diesem Kino doch. In ihren stärksten, bewegtesten und bewegendsten Momenten umfingen einen die Filme, und man war mittendrin, so, wie Iñárritu sich das wohl wünschte. Vielleicht war es aber auch das Verschwinden, in dem Kino und Transformer sich versöhnten
.

 

(© Frankfurter Allgemeine Zeitung. All rights reserved. Provided by Frankfurter Allgemeine Archiv. First published July 6, 2009)
Bildmaterial: AFP, AP, Prada)

 

 

___

Texte und Kommentare zum Labor 2009 werden hier veröffentlicht

Texts and commentaries on the 2009 lab and related research subjects will be published here.