CRITICAL WRITINGS / KRITISCHE TEXTE

 

no.2

Ukiyo (Moveable World) and Audiophonics

UKIYO (bewegliche Welt) und Audiophonik

Johannes Birringer

 

Archiv zur Vorbereitung / Notes on Preparation and Process: Interaktionslabor 2009

 

1. Perceptual Choreographies

In Vorbereitung für das 7. Interaktionslabor trafen sich im Verlauf der letzten 10 Monate die Mitglieder der lokalen Organisationsgruppe mit den Gastkünstlern des Liquid Penguin Ensembles, um Materialien für das Labor und das von Andreas Lehnhard vorgeschlagene Thema "Halbinseln der Wahrnehmung" zu sichten. Dabei schob sich immer mehr eine "Sendung" in den Vordergrund, die Andreas zusammen mit Uschi Schmidt Lenhard vor ein paar Jahren für den Saarländischen Rundfunk über Phänomene des Autismus produziert hatte, und die sich mit Wahrnehmungsstrukturen und Normativität/Differenz beschäftigt. In dieser Radiosendung wurden auch Passagen eine Textes (einer Stimme) wiedergegeben, die von einer Betroffenen stammen, die hier anonym bleiben soll, uns allerdings die Erlaubnis erteilt hat, ihr Tagebuch bzw. ihren reflektierenden Text - Auf der anderen Seite des Spiegels (On the other side of the mirror) - bearbeiten zu können. Das Manuskript liegt jetzt vor in einer Fassung von etwa 50 Seiten Länge, wobei verschiedene Passagen jetzt auch in die englische Sprache übersetzt worden sind (auf diesen Internetseiten einsichtbar unter "Libretto').

Bei der Ankündigung des Labors wurde diese Themenstellung, und das Manuskript-Material, als "Forschungslibretto" aufgeführt, womit sich auch die Auswahl der diesjährigen Teilnehmer auf die Fragestellungen des Workshops beziehen liess. Zum Beispiel meldete sich die Theatermusikerin Caroline Wilkins (England) an, die bei Mauricio Kagel studiert hat und jetzt im DAP-Lab in London und an ihrer Promotionsarbeit forscht. Ebenfalls eingeladen wurde der Soundkünstler Luca Forcucci aus Lausanne, der im letzten Jahr bereits in Brasilien beim Interaktionslabor 08 mitmachte. Zwischen Interaktionslabor und DAP-Lab, das ich zusammen mit Michèle Danjoux leite, bestehen enge Beziehungen, da bereits 2007 ein grössere Anzahl von Künstlern und Wissenschaftlern aus Grossbritannien nach Göttelborn kam, um an einer interaktiven Filmadapation (Suna no Onna) zu arbeiten, die im Winter 2007 in London am Laban Centre uraufgeführt wurde.

Caroline Wilkins (siehe Text 3) promoviert über Musiktheater und instrumentale Performance, und trug in unserer gegenwärtigen DAP Produktion UKIYO ein von Michèle konzipiertes spezielles audiophones Kostüm für die Rolle der "Aztec Queen" – im zweiten Teil der "choreographische Installation" UKIYO, die am 1. Juni 2009 in London uraufgeführt wurde. Diese Installation fand fast zeitgleich mit der BOUT DU MONDE Aufführung des Liquid Penguin Ensembles im Wasserturm statt, hier in der Nâhe der Göttelborner Grube, und es bietet sich an, auch Querverbindungen zwischen choreographischer und musiktheatraler Installation zu untersuchen und im Hinblick auf den Fokus des Labors (Musik / Psychologie) weiterzudenken.

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Caroline Wilkins performs with bandoneon and in Aztec costume (c) 2009 DAP/dans sans joux

 

In UKIYO testet unser Ensemble, in Kooperation mit japanischen Künstlern, die sich vor allem mit virtuellen Welten beschäftigen, zum ersten Mal verstärkt die gestische Beziehung zwischen Bewegungs-Dramaturgie (Tanz-Musik-Theater), Motion Design, und Klang bzw tragbarem/bewegbaren Klang, also auch zwischen Sichtbarem und Hörbarem, akustischen und elektronischen Klangräumen und Klangfeldern. Wir werden im Verlauf der ersten Woche des Labors Gelegenheit haben, die 20 minütige DVD/Aufzeichnung der etwa 45 -minütigen Choreographischen Installation zu beobachten.

hanamichi stage planwith 5 crossed runways for UKIYO (c) DAP-Lab/Birringer

Was ist mit Choreographischer Installation gemeint? Wir meinen damit vor allem einen beweglichen, perspektivisch veränderbaren Raum, der eine intensive Plastizität hat, offen ist und sich bewegt und durch den die Besucher sich bewegen, d.h. das Publikum wird hineingeladen in den Raum, bewegt sich mit unter den fünf "Instrumentalisten", interagiert, reagiert, verschiebt den Raum (der ein grosser Raum ist, eine offen weite Architektur, von 5 "hanamichi" (weisse Runways, Laufstege) durchschnitten oder durchkreuzt. Drei Projektionsflächen (rear projection) hängen im Raum; auf ihnen erscheinen stille und bewegte Bilder und Animationen.

Ich erzähle ganz kurz die Struktur:
1. Teil: Einlass in den Raum, mit "Kennwort" (einer gelben Zitrone, die dem Besucher an der Tür ausgehändigt wird), das der Bewacher des "Réduit" den Zuschauern gestisch vermittelt.Er spielt den Besuchern ein paar Zaubertricks mit dem gelben Kennwort vor, er benutzt es als bewegliches Objekt. Dann: Beginn der Bewegungen in Raum, Tanz und Filmprojektionen (auf die schwebenden Leinwände). Der Raum und die weissen hanamichi entstehen langsam aus dem Licht, und aus den Aktionen der jeweils auf einem der Runways agierenden Tänzer. Der Gestus bezieht sich auf Bilder von Arbeitern der frühen Phase der russischen Revolution und der Vermessungstechnik des Moscow Central Institute of Labor, an Arbeitern vorgenommen. Es sind Bewegungsabläufe aus der Arbeit mit Tools, z.B. einem Hammer. Bilder aus der Vergangenheit der Revolution, der 95 jährig andauernden Revolution die von Afrika bis weit in den ostlich asiatischen Raum vorgedrungen ist, allerdinds ist die Schweiz im Belagerungszustand, und Brazhinsky, Ingenieur und Erfinder der neuen drahtlosen Kommunikation, die die Revolution vorantreiben soll, ist im Réduit verschwunden. Er ist eine Leerstelle, auf die sich verschiedene Verweise innerhalb der Dramaturgie beziehen.

Yiorgos Bakalos as guardian, explaining the secret code ("yellow")


2. Entr'acte: Stummfilm (auf drei Leinwände verteilt, 6 Minuten, von einem Klavierspieler begleitet) mit Intertiteln.


3. Zukunft. Nachdem der afrikanische Offizier im Stummfilm von einer französisch-schweizerischen Militärfrau die neue plastische Kommunikation erklärt bekommt, stellen unsere Tänzer diese neue Kommunikation vor, als Virtuelle Choreographie. Sie tanzen eine Bewegungssprache, die sie von Avataren im Second Life, der virtuellen Gegenwelt, gelernt haben, d.h. von unseren japanischen Algorithmenwissenschaftlern aus Tokyo und deren Computeranimationen. Eine japanische Tänzerin wird virtuell live in die Second Life metaverse "eingespielt" / eingespeist, und online-Zuschauer können ebenfalls in das simulierte Modell unserer Installation hineinspazieren, mittels ihrer Avatare. Dieser dritte Teil ist also noch mehr Fiktion als der erste (der von Christian Krachts Roman "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten" inspiriert war, und ich darf dem Autor an dieser Stelle auch danken, dass er unserem Tanzprojekt positiv gegenüberstand). Und er ist offen; es wird noch an der Form dieser "mixed reality" gearbeitet.

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Helenna Ren and Anne Laure Misme in Ukiyo, im Hintergrund die Projektionen aus dem Second Life (c) 2009 DAP/dans sans joux


Fragestellungen an die Gruppe wären also auch von dieser Offenheit meines jetzigen Prozesses (mit Michèle Danjoux, die an den audiophonen Kleidern arbeitet) inspiriert (auch was Carolines Rolle als Stimme und als "Bandoneon"/"Instrumentwoman" betrifft). Zur Konstruktion der audiophonen Wearables gibt es jetzt auch ein Interview, das auf dance tech net zu hören ist. Das Bandoneon ist Carolines Instrument, das sie auf der Bühne trägt, bewegt, spielt, verkörpert und "anzieht"/überzieht und umzieht, d.h. Choreographie geht hier ins Tragbar-Gestische über, was Paul Verity Smiths und meine digitale Filmarbeit dann ebenso in Wahrnehmungsbereiche des Visuellen-Montagehaftigen gleiten lässt– wobei unsere tragbaren Sachen, auch die tragbaren Lautsprecher, Claves (Klanghölzer), und Samuraischwerter fast eine Art Prothesenfunktion der Re-Mediation haben, wie sie Andreas Lenhard beschrieben hat bei den autistischen Personen. Auch die Kinematographie der projizierten Filmbilder ist eine Form von Anime (Prothese).

Fragestellungen:

-- tragbarer Ton. Kleidung auch als Geste, aber ist sie hörbar?-- wie ist der Fluss der Fiktion (was meinen wir mit Libretto? - wie kann der Text "Auf der anderen Seite des Spiegels" gelesen und von uns bearbeitet werden, was für eine Sorte Libretto wäre dies?) und wo führt er uns hin?


-- was sind die Untersuchungsebenen (für Wort-Sprache, Stimme, Klang, Musik, Bild, Farbe, Material, und Medienträger bzw. Prothesen) und welches kleine Intrumentarium können wir aufbauen? Wir haben ein Ton-Studio, das wie ein Industrielabor mit Werkbänken ausgestattet ist, wir haben keine Sensoren diesmal und keinen Sensortechniker, aber verschiedene Lautsprecher und Lötkolben, Aufnahmegeräte, Kameras, Projektoren und Verstärker, Microphone, nun, alles was wir mitbringen......


-- welcher Raum wird von uns genutzt-gefunden zur Interaktion, welche "Schrägen", welche Umgebung (environment), Architektur? die ja das Körpergefühl, Aussenweltgefühl massgeblich beeinflussen (wie in einem weiteren Vorbereitungs-Arbeitsdossier vom 5.3. 2009 beschrieben)


-- Wahrnehmungsbeschreibung:


>>Katharina erzählt von der beeindruckenden Stelle, in der Sybille erzählt, wie sie Bilder betrachtet. Sybille begibt sich in ihrer Phantasie in Bilder hinein, verweilt. Spürt Kitzeln unter ihren Füßen, wenn sie sich auf die Betrachtung des im Bild gemalten Grases konzentriert. Es entsteht eine Brechung von Raum und Zeit. Sybille wird, wenn sie derart lange vor einem Bild verweilt und Töne von sich gibt, von anderen Menschen beobachtet und interpretiert. (Derjenige, der Sybille betrachtet, kann Sybilles
Verhalten aber nur innerhalb der eigenen Denk-Grenzen interpretieren…) Vom Beobachter des Beobachters der Beobachter.>>


-- Kontrast Montage (wie arbeiten wir mit Ton.Stimme Bild Raum?)

-- Kausalzusammenhänge, Gesetzmäßigkeiten / Rückmeldungen (biofeedback, Rückkoppelung)


--Irritation der eigenen Wahrnehmung erkunden, Irritation durch andere Wahrnehmungsfilter


Also ein Irritationsworkshop, der aber gleichzeitig vielleicht, wenn dies gewünscht würde, eine Art Hörspielarchitektur testet. Das wird machbar sein in 2 Wochen Laborzeit, eine Versuchsanordnung kann am 1. August auch im 10 KV (Samstag Abend) inszeniert werden, eine
live Hörspiel? Ich nehme an, dass die zentrale Mitarbeit von Liquid Penguin es nahelegt, dass wir alle von Katharina und Stefan etwas "mitnehmen" und mit ihnen erarbeiten, genau wie wir von den Libretti und von der Arbeitsmethodik und den Fragestellungen der anderen Laborteilnehmer lernen, bzw uns alle austauschen. Dorothee und Kathrin werden in der zweiten Woche plastisch arbeiten im 10KV: räumliche Untersuchung/Veränderung. Die anderen Gastkünstler bringen ihre Ideen ein und eine neue Dynamik entsteht.


Was uns jetzt noch beschäftigt während der Vorbereitung, ist die Sprache des Librettos: wir haben ein deutschsprachiges Libretto, aber einige der Teilnehmer werden englisch und spanisch als erste Sprache haben, also werden wir übersetzen und bestimmte Passagen herausgreifen.

 

2. Klanghörräume /sound listening spaces

Der Prozess der Laborarbeit bringt die Erkenntnis, dass audiophone und audio-visuelle Darstellung im theatralen Sinn einige inhärente Problemstellungen mit sich bringt. In der ersten Woche bestand das Hauptaugenmerk der Gruppenarbeit vor allem darin, aesthetische Modelle oder Methoden der einzelnen Mitglieder vorzustellen und kritisch zu beurteilen, dabei gleichzeitig das Spiegel-"Libretto" auf seinen Assoziationsreichtum hin zu überprüfen und auf dem Campus des Labors (Grube Göttelborn) sowie in dem uns zur Verfügung gestellen 10KV Umschaltwerk "Hörproben" und Aufnahmen vorzunehmen.

Es wurde dabei nicht direkt mit dem Libretto gearbeitet, d.h. es wurde kein Text oder keine Sprache vertont, sondern einzelne Passagen aus "Auf der anderen Seite des Spiegels" dienten als Anregung bei der Suche nach Klangobjekten oder Texturen. Es stellte sich heraus, dass die Teilnehmer, die aus der Musik kommen, wenn man das so sagen kann, erst einmal mit der akustischen Wahrnehmung und der Resonanz (bzw. den Resonanzen) der Gebäude und des Environments und der Gegenstände arbeiten wollten, wobei die beispielhaft jeden Abend im Tonstudio vorgespielten Werke von Liquid Pengiun, Caroline Wilkins, Luca Forcucci und Ludmila Pimentel, sowie die Videodokumentation on UKIYO, bereits dazu beisteuerten, dass die Diskussion sich auf Acousmatische Musik sowie auf Hörspiele und die verschiedenen Versionen der von Liquid Penguin geschaffenen Hörspiele (Radio) bzw. Musiktheater-Aufführungen und Installation (in Theaterräumen oder leerstehenden Gebäuden oder anderen spezifischen Räumen) verlagerte. Trotzdem ist zu bemerken, dass the Soundkünstler Luca Forcucci mir am Ende der ersten Woche auch Bilder zur Verfügung stellit, die er mit einen kleinen Handkamera auf dem Gelände machte. Er war also nicht nur mit dem Mikrophin unterwegs, sondern auch mit der Kamera, um Texturen und Impressionen einzufangen. Das spannendste Tondokument, das von diesen Reisen ins Studio zuruckgebracht wurde, ist "Moby Eindicker" benannt, und wurde im Unterbau des kolossalen Eindickers aufgenommen, als man eine unruhig flatternde Fledermaus mit ihren seltsamen Tönen antraf.

Allerdings wurde auch bei den Vorstelllungen der interaltiven Video Projekte von Ludmila oder der choreographischen Installation UKIYO deutlich, das die visuelle Dimension der Darstellung oder publikumsbezogenen Installation von multimedialer Kunst ganz verschiedene Ansätze und Kritikmöglichkeiten mit sich bringt (vgl. die jüngste Inszenierung der britischen Regisseurin Katie Mitchell in Salzburg: ""Katie Mitchell inszeniert Luigi Nono-Oper Al gran sole carico d'amore[1975] als sakrales Hightech-Spektakel," Der Standard, 3.8.2009). Das Visuelle ist nicht unbedingt ein Vorteil für die Ausgestaltung der Musik/Tonkunst. Videoprojektionen, Live-Video-Mitschnitt auf der Bühne oder Film-im-Theater sind ein Paradox oder ein unbequemes Unterfangen, wenn Integrität der musikalischen Komposition oder eines dramatischen/narrativen Textes (gesprochen/gesungen bzw instrumentiert) im Zentrum eines Werkes liegt, worauf ein partizipatorischer Ansatz, wie er in der interaktiven Kunst angenommen wird, keinen Anspruch zu haben scheint. Der Mythos der Ko-Autorenschaft des interaktiven Publikums bleibt weiterhin ein Mythos; dem emanzipierten Zuschauer/Zuhörer, wie Jacques Rancière zu Recht behauptet, ist die Interaktivität ohnehin eine Zumutung, wenn er zum Spielen animiert werden soll.

Allerdings sind Hörräume für das Hören, also die Rezeptions- und Wahrnehumgspotentiale der Zuhörer hin angelegt. Ein interaktives Hören erscheint uns als unsinniger Terminus. Allerdings kann aus anthropologischer Sicht hier ein spannendes Moment der kulturkritischen Forschung genannt werden, nämlich bzgl. der Diskussion über bzw. gegenüber "sound scapes", wie sie der britische Autor Tim Ingold führt, der ganz entschieden in seinen Schriften zur Ethnographie der Bewegung und des bewegenden/körperlichen Hörens auf eine nicht-statische, oder verdinglichte Erfahrung hinzielt. Was sind nun bewegtes Hören, Klanghörräume?

In seiner Darstellung der sound art und seiner jüngsten Kompositionen, wies Luca Forcucci vor allem auf das interessante Vorbild Alvin Lucier hin. Auch machte Luca deutlich, dass er in seiner gegenwärtigen Rolle als Gastkünstler am Brain Institute Lausanne die Zusammenarbeit mit Neurowissenschaftlern sehr produktiv findet und sich nun unmittelbar mit Wahrnehumgsprozessen und kognitiven Klamgverabeitungsmechanismen beschäftigt - der Rückkopplung zwischen Gehirn und instrumenteller Musik. In der Vorbereitung eines Forschungsprojekts mit Gehirnwellendaten und instrumentaler Performance entwickelt Luca Forcucci eine Theorie des Hyperbiologischen Networking, welche eine vielfältige Rückkoppelung (biofeedback) und Schaltung zwischen Datenströmen bzw Gehirn- und Perzeptionsvorgängen während einer strukturierten Musikperformance impliziert. Als historisches Beispiel eines regenerativen Klanghörraums wurde Luciers I am sitting in a room (1970) sowie das 1965 entstandene Music for Solo Performer untersucht. In seinem Stück Music for Solo Performer nutzt Lucier ein Gerät, das Gehirnwellen verstärkt und in akustische Schwingungen umsetzt. Es gelingt ihm bzw. seinen Gehirnwellen, die Membranen angeschlossener Lautsprecher so stark in Schwingung zu versetzen, dass er auf ihnen verschiedene Perkussionsinstrumente zum Klingen bringen kann.

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Alvin Lucier, Music for Solo Performance (left) Alvin Lucier, I am sitting in a room (right)

I am sitting in a room wird von Golo Föllmer beschrieben als ein "Klassiker" der Klangkunst; es sei eine "poetische Konzentrationsübung auf ein notorisch unterschlagenes Phänomen: die Resonanzen eines Raumes, die im allgemeinen zu selbstverständlich sind, um bewusst wahrgenommen zu werden. Lucier spielt seinen live eingesprochenen Text über Lautsprecher in einen Raum ein und nimmt den Klang zusammen mit den unweigerlich hinzukommenden Resonanzfrequenzen des Raums wieder auf. Diesen Vorgang wiederholt er, bis der Text durch die Akkumulation der Resonanzen unkenntlich geworden ist. Am Ende haben die Klänge ihre semantische Bedeutung gänzlich verloren. An die Stelle der Semantik tritt die musikalische Qualität der Sprachlaute. Der zu sprechende Text ist Libretto, Partitur und Ausführungsanweisung in einem." (vgl. MedienKunstNetz)

Zusammen mit Liquid Penguin versuchte Luca Forcucci während der ersten Woche des Interaktionslabor, diese acousmatische Herangehensweise neu zu bearbeiten unter den spezifischen Bedingungen des 10KV Umschaltwerks auf dem Grubengelände und mittels einr 7-minütigen Komposition, die aus Aufnahmen von Klangobjekten in der Grube entstanden war.

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recording of metal objects in the former coal mine; Katharina Bihler recording sound from the cellar (right). Photo (c) Luca Forcucci


4 Lausprecher wurden in dem rechten (nördlichen) Seitenflügel des Umschaftwerks positioniert, und zwar gegen die Wände aufgestellt, sodass die Klangfrequenzen von den Wänden und der Raumarchitektur zurückgeworfen wurden. Die 7-minütige Komposition wurde dann vom Laptop über das Verstärkersystem abgespielt, und von zwei Richtmikrophonen aufgenommen. Diese zweite "Generation" wurde dann wiederum abgespielt und neu aufgenommen, und so fort. Ein Prozess von 6 Generationen entstand, und die letzte Generation (wie auch die erste) sind auf den Tagebuchseiten des Labors unter AUDIO zu hören.

Der Resonanzraum der Umschaltwerkarchitektur wird in diesem Aufnahmeverfahren zum hörbaren Veränderungsprozess, die Wahrnehmung des Klangobjekts verschiebt sich und wir hören eine neue Klangkomposition, die in der Rückkoppelung und Frequenzakkumulation entsteht. Man kann, ginge man philosophisch an dieses Phänomen heran, auch von einem orphischen Lied im Sinne Blanchots sprechen, der so eindrucksvoll in L'Espace littéraire (The Space of Literature) vom Blick des Orpheus spricht, und von den Zusammanhängen zwischen Hören und Sehen und der poetischen Inspiration, an Hand des Falls "Orpheus" gerade vom Nicht-Sichtbaren des Liedes oder der Hymne –"a trace of pure night" – die der Dichter an Eurydike widmet ohne sie anzublicken, denn der Anblick ist der Verlust der Besungenen und des Eros. . . Blanchot behauptet dabei auch, dass der Blick des Orpheus seinem Narzissmus Ausdruck gibt, seiner jouissance, und er Verlust Eurydikes ist demnach ein Schweigen am Ende des Lieds, ein Schweigen, welches aber gerade das Kunstwerk mythisch begründet bzw. sakralisiert, denn vor dem Blick ist nur die Musik als Vollendung der poetischen "Ankopplung" (wie Klaus Theweleit es ja ausführlichst in seinen Orpheus Notizen beschrieben hatte): "the gaze is the movement of desire that shatters the song's destiny, that disrupts concern for it, and in this inspired and careless decision reaches the origin, consecrates the song." (Space of Literature, p. 176)

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In unseren Versuchen ging es nun gerade um die Unterdrückung der Sichtbarkeit und der Vor-Sicht, zumindest in der erste Woche, ehe das Team weitere Performance-Elemente und auch die Möglichkeit des Lichtwerdens (Bildwerdens) in Erwägung zog, als langsam der Plan für eine Versuchsanordnung Gestalt annahm, gegen Ende des Workshops an zwei Abenden Publikum einzuladen zwischen 21:oo und 22:oo Uhr abends. Also der Zeitphase, in der das natürliche Tageslicht, das durch 9 seitliche Fenster und zwei rückwârtige Fenster in den doppelen Raum einfällt (Nordseite und Südseite, von durchbrochenen Wandteilen getrennt) langsam weicht und es dunkel im Klangraum wird. Es sollte eine Verräumlichung des Klangs enstehen, die den Hörer sozusagen in eine bestimmte Wahrnehmungshaltung und Verdunkelung versetzt, und zum Hören im Beschreiten des Raums veranlasst, wobei im Verlauf der Installationsperformance dann weitere Klängelemente sowohl akustischer / performativer als auch elektronischer Natur dazukommen.

Mit dem Dunkelwerden des sichtbaren Raums wird gleichzeitig ein Thema angedeutet, das sich mit der spezifischen Form auditiver Wahrnehmung auseinandersetzt, also mit den spektralen Potentialen des Un-Sichtbaren oder Nicht (Nicht mehr) Sichtbaren, wobei acousmatische Klangkunst und musique concrète ja seit Pierre Schaeffer (vgl.Etude Noir) vorwiegend auf die Aufnahmetechniken/Wiedergabemöglichkeiten von konkretem Tonmaterial ausgerichtet war und ebenso auf die Tonträger selbst, allerdings nicht auf deren theatrale or symbolische "Rollen" (bzw. Bedeutingsüberhöhungen), sondern eben auf das phänomenale Klangobjekt (sound object) an sich.

Frank Hilbert bemerkt dazu, dass dem "uneingeschränkten Gebrauch von »konkreten Klängen« zunächst technologische Beschränkungen gegenüber standen. Schaeffer (1910 in Nancy geboren und 1995 gestorben), formte mit den Geräuschen in Etude aux chemins de fer (Eisenbahn- Etüde, eine der Cinq études de bruits) ein vollgültiges Stück Musik: Nach acht Takten Abfahrt (mit Pfiff) ertönt das Accelerando einer Solo-Lokomotive, dann das Tutti der ruckelnden Waggons in variablen Rhythmen und wiederkehrenden, kontrapunktisch verarbeiteten Motiven und schließlich ein Finale aus Pufferstößen. Aus den Geräusch-Etüden entwickelte Schaeffer, der sich bald mit Pierre Henry, dem Meister des wohltemperierten Mikrofons (wie eine Komposition betitelt wurde) zusammentat, größere Zyklen wie die »Oper für Blinde«, Symphonie pour un homme seul, die den Alltagskampf des einsamen Menschen thematisiert, oder das lyrische Spektakel Orphée 53, das in Donaueschingen die Musikkritiker erschreckte. Immer ließ er entlegene Klangwelten surreal aufeinandertreffen, die Stimme eines Schauspielers, unterbrochen von dem Husten des Scriptgirls, »auf einen anderen Plattenteller lege ich den ruhigen Rhythmus eines biederen Schleppkahns; dann auf zwei weitere Teller, was mir gerade unter die Hand kommt: eine amerikanische Akkordeon- oder Harmonika-Platte und eine Platte aus Bali.« Der Kanalschlepper aus Frankreich, die amerikanische Harmonika, die Priester aus Bali und das eintönige Sur tes lèvres gehorchen auf wunderbare Weise dem Gott der Plattenteller. Heute ist jedes Handy ein Aufnahmegerät, ein Sampler, damals waren die Tonbänder so sperrig, dass es fast genauso schwierig war, eine Lokomotive ins Studio zu bringen wie ein Tonband zum Bahnhof. Die Situation wurde rasch besser, aber zunächst konnte Schaeffer nur mit Plattenspielern arbeiten, nach dem Prinzip der »geschlossenen Rille«, nichts anderes als ein Loop, wie er heute millionenfach in der Techno- und House-Musik seine Kreise zieht. Schnitte und Montagen waren nicht möglich, und so mussten drei bis vier Plattenspielerspieler eine Komposition aufführen." Die ganze frühe musique concrète, so Hilbert, "war nichts anderes als praktiziertes DeeJaying. Nicht zufällig haben sie die Turntabler und Laptopfrickler unserer Tage für sich entdeckt und remixt" (Die Zeit, 2007).

Es scheint interessant für uns, jetzt auch den Sprung zu machen von der Zeit der Anfänge der konkreten Musik zur Hörspielkunst einer Gruppe wie Liquid Penguin, oder den Arbeiten Luca Forcuccis oder Caroline Wilkins' (die bei Mauricio Kagel studierte), oder auch zur gegenwärtigen experimentellen Sound Art, wie sie zum Beispiel von Brandon LaBelle praktiziert wird, der auch Autor des jüngst veröffentlichten Buchs Background Noise: Perspectives on Sound Art (London, 2007) ist.

In LaBelles Social Music VI: Shadow of a Shadow (Schatten eines Schattens) erarbeitete er einen Beitrag zum Grazer Festival (Steirischer Herbst) 2001. Dort lautete das Motto des sich einem erweiterten (Medien-)Musikbegriffs widmenden Festivals "living room: the social dimension of sound waves". Brandon LaBelles Konzept einer "Social Music", das er für die Kunstradioserie entwickelt hatte, wurde in das Festival einbezogen, denn. im Mittelpunkt der orts- und medienspezifischen Arbeit des amerikanischen Soundkünstlers steht ja gerade die Erforschung der Beziehung zwischen der "Kunst und einem weiteren gesellschaftlichen Umfeld" anhand "jener komplexen phänomenologischen Dynamik des Sounds wie man sie in Räumen und Gegenständen, in öffentlichen Events und Interaktionen, in Sprache und Körper findet" (LaBelle). Mit dem poetischen Titel seines Live-Projekts "Shadow of a Shadow" verweist Brandon LaBelle auf das prekäre Verhältnis zwischen dem Realen und seiner Virtualisierung, die für uns wiederum nur im medienspezifischen Abruf der Daten aus einem immer komplexer werdenden vernetzten Medienverbund erfahrbar wird. Genau diese real/virtuelle Architektur des via Übertragungs- und Aufzeichnungstechnologien des Radios und des Internet live mit den realen Räumen der HörerInnen/UserInnen verbundenen Foyers des Landesstudio Steiermark in Graz, ist eine Stunde lang zugleich "Instrument", "Ort" und "Gegenstand" des Projekts. Die Radioversion von "Shadow of a Shadow" besteht u.a. aus Sounds der Interaktion des Künstlers mit den architektonischen Gegebenheiten des Foyers. So wird z.B. ein ganz alltäglicher im Erdgeschoss auf unterschiedliche Weise bewegter Sessel genauso zum Erzeuger von Geräuschen wie auf dem Geländer der charakteristischen Galerie montierte kleine Motoren. LaBelle verwendet ausserdem ein Archiv von u.a. in Graz aufgezeichneten Sounds und Stimmen und, mit voraufgenommenem "Rauschen", auch den Klang der Radiokanäle selbst. (vgl Kunstradio).

Diesen Prinzipien der sound art vedankt sich auch die Forschungsarbeit im Interaktionslabor 2009, und gerade Caroline Wilkins betont in ihrem Text zum Workshop, dass sie von konkreten Objekten und objets trouvés ausging, die sowohl zu instrumentellem/akustischem wie auch spielerischen (theatralen) Umgang einluden, wobei in unserer Arbeit am Klangobjekt oder am Klangraum beide Ebenen immer stärker mit einbezogen wurden im Verlauf des Labors. Ein Klanghörraum entsteht also in der Gestaltiung der Loops, die elektro-akustisch/elektronisch verstärkt im Raum Resonanzen schaffen, wobei gleichzeitig in unserer Arbeit der Performer als Instrument mitspielt und Geräusche und Klangelemente produziert, die wiederum von den filmischen Apparaten der Teilnehmer aufgenommen und in Videosequenzen reprojiziert werden (auch als Loops und mit der lokalisierten Wiedergabe des Klangs durch kleine Laptoplautsprecher bzw speziell installierter Mini-Lautsprecher -- ein Arrangement von Katharina Bihler an den Wänden des 10 KV Umschaltwerks). Gegen Ende der zweiten Woche des Labors entscheiden sich die Mitglieder des Teams, die grossen Laustsprecher aus dem Raum herauszunehmen und in die untere Kelleretage zu verlegen. Der Klang aus diesen Lautsprechern steigt also gleichsam aus der Tiefe heraus, aus dem Untergrund (unter Tage), durch Löcher, die im Fussboden vorgefunden wurden.

Stefan Scheib und Johannes Birringer im Südteil des 10KV Umschaftwerks. Photo (c) Luca Forcucci

 

Zwischen Hören und Sehen entsteht jetzt allerdings ein Konflikt, wenn man die gestisch-spielerische Arbeitsmethode Caroline Wilkins' weiter untersucht und dabei auf die frühere Themenstellung, nämlich der Beschäftigung mit einem Libretto über autistische Wahrnehmungskanäle sowie mit musiktheatralen Mitteln zurückgeht, und das Gestische der Live Performance mit einbezieht. Zudem inspirierten das Libretto und der Klanghörraum einige der Teilnehmer, massgeblich Ludmila Pimentel und auch Michèle Danjoux, dazu sich in die visuellen und taktilen, ebenso olfaktorischen Sinnlichkeitsebenen hineinzuversetzen, in die Sensorik der Erfahrung mit den konkreten Materialien, um sich damit weiter kreativ auseinanderzusetzen – d.h. mit gefundenen Materialien wie Papier, Holz, Glass, Stein, Eisen und organischen Elementen (Grass, Blumen, Wasser, Luft, Staub). In den täglichen Proben entstehen "Spielszenen", wobei interessanterweise nicht alle Laborteilnehmer an individuellen Experimenten teilnehmen, und am nächsten Tag wie am darauf folgenden plötzlich Veränderungen im Raum und der Positionierung bestimmter objets trouvés vorfinden. Der Raum überrascht. Ludmila arbeitet während des gesamten Workshopverlaufs daran, Veränderungen der plastischen Arrangements vorzunehmen wie auch einen kleinen Nebenraum, durch men man gleichsam wie durch ein Fenster hineinblickt, als "Sybilles Zimmer" einzurichten. Am Südwest-Ende des langen Nordflügels entsteht ebenso ein witeres Zimmer, das wir "Glasraum" nennen. Dort sind zwei metallene Spiegel aufgetaucht, einer vertikal an die Rückwand gelehnt, der andere flach auf dem Fussboden. Das Papierkleid, das gestern noch von Katharina getragen wurde, hängt auf einem leeren Stuhl, ohne Körper.

Der südliche Flügel des Raums blieb leer in der ersten Woche, dann fand sich eine kleiner Steg dort, eine Laufbahn, die zum Teil aus gelber Glaswolle konstruiert war, und zum anderen Teil aus zerbrochenem, scharkantigem grünen Glas. Wenn man über die sanfte Glaswolle schreitet, hört man keinen Ton. Geht man über das zerbrochene Glass (Uschi Schmidt Lehnhard entwickelt hier die Rolle einer "blinden" Frau, deren lange Haare ihr die Sicht nehmen, während sie langsam den Laufsteg entlang schreitet in hochhackigen Schuhen, in den Händen vor den Mund gepresst ein Papiermegaphon, in das sie Laute und Sätze spricht.

 

Ich schaue mich um.

Als erstes bemerke ich, dass viele Gebäude aus Glas sind. Es ist eine etwas fremde, und doch so vertraute Architektur. Auch sehe ich keine großen Farbkleckse, wie auf der Erde. Es ist alles in einer Blau-Glas-Kombination. Ich schaue zum Himmel, um nach der Sonne zu gucken. Aber am Himmel ist keine Sonne. Ich weiß nicht, wie es trotzdem so hell auf diesem Planeten ist. De Himmel hat auch keine störende, sich ständig verändernde, bewegende, Angst machende Wolken. Ich bemerke auf einmal ein leichtes Gefühl des Wohlbehagens. Was ich bis jetzt sehe, gefällt mir.


Mein Blick richtet sich wieder der Straße zu.

... über mir der Silbermond.

(from On the Other Side of the Mirror)

 

Ludmila fand Glascherben in einem verlassenen Teil der Grube, Glas das mit feinem Drahtgeflecht versehen ist und deshalb nicht weiter auseinanderbricht sondern in Teilen aneinandergeflochten werden kann, Das bringt sie zu der Vorstellung, mit Michèle Danjoux an einem Glas-Kleid zu arbeiten, das von einer Frau (in der imaginierten Rolle der Sybille) getragen werden kann, und gleichsam auch audiophon zur Klangerzeugung eingesetzt werden kann. Während in der ersten Woche ganz spielerisch einige Szenen mit einem Papierkleid geprobt werden (von Katharina Bihler getragen), zusammen mit "Wasserbad-Szenen", die Caroline Wilkins in ihrem fortwährenden "sounding" der Nischen des Raums (Fensternischen, Bodennischen) mit Stimme und Körpergestik entstehen lässt, beginnt in der Mitte der zweiten Woche, nach Ankunft Michèles, die Konstruktion und der Design des Glas-Kleids und der tragbaren Audiophoni, die von Amelia Danjoux-Ferry gemodelt wird. .

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Katharina Bihler in the paper dress, with J Birringer (c) 2009 Photo Luca Forcucci

 

Die Idee der Spiegelreflexion führt des weiteren dazu, das Dorothee Augustin und Kathrin Müller eine skulpturale Plastik im Ostteil des Südflügels aufhängen wollen,.die so leicht sein wird, dass sie der Wind bewegen kann und dadurch auch Geräusche entstehen, die von Bewegung (der Atmosphäre) abhãngig sein werden. Diese Raumgestaltung findet zu Beginn der zweiten Woche des Labors statt, und nach Hängen der transparenten Folien wird dann zusätzlich ein elektrisches Beleuchtungsdesign eingerichtet, das gegebenenfalls die Dunkelheit wieder punktuell aufheben kann.. Die Lichtstrahler werden auf die sich kreuzenden hanamichi (Laufstege) eingerichtet, sowie auf die Spiegelfolien im Ostteil. Am westlichen Ende des südlichen Flügels ensteht ausserdem eine auf den Boden gemalte Spirale, in deren Mitte ein Kreisel gelegt wird, zum Spielen für Kinder. Der Kreisel ist gleichzeitig ein Toninstrument, denn die schnelle Bewegungsmotorik des Kreisels erzeught einen Klangton, ebenso die Berührung des Kreisels auf dem Steinboden, wobei der Kreisel, wenn man ihn loslässt, offensichtlich seiner natürlichen Fliehkraft folgt und langsam in seinen Rotationen stirbt, letztendlich umfällt.

 

Der Klanghörraum ist also ein Raum, in dem Ton entsteht und entschwebt, Klangmotive kreuzen sich oder kommen und vergehen, gleichsam atmet dieses steinerne elektrische Gebäude, es brummt, summt, dräut sich, und ebbt ab, leichtes Rascheln kommt aus einer Ecke, Stille die nur von Vögelgeräuschen unterbrochen wird, die von draussen durch die Fenster hereinwehen, ein Knacken, ein Musikklang der sich dem elektrischen Brummton anpasst und ihn wieder verlässt (Stefan auf dem Kontrabass), Stimmen aus kleinen Lautsprechern, ein sanft schepperndes Geräuch, wenn die junge Amelia im gläsernen Kleid langsam in den Spiegelwald, in das Bild, hineingeht und um die Ecke verschwindet. Teile des Glaskleids hängen bis auf den Steinboden, und wenn die Performerin das Kleid trägt, bewegt sie sich auch aus Glas und mit Glas. Ihr Körper fast transparent, eine Erscheinung (Schattengestalt?) der Unschuld oder gerade der Anzugskraft, für Blanchots régard (gaze), den Blick auf das Nicht Sichtbare oder Nicht Sehen Dürfen, wie es Orpheus geboten wurde als normativer Auftrag, von dem Gott der Unterwelt, der über Blickkontakte richtet. Klaus Theweleit (Autor der Männerphantasien) benennt in seinem Buch Orpheus und Euyrdike: Buch der Könige das normative Gebot andersherum, von der Sicht des Orpheus gesehen, als männliche Verliebtheit in seine Apparate im Zeitalter der Medienkunst, als Ankopplung an den "Machtpol" (Apollo), die sich das Weiblliche (die Frau im Glaskleid) vielleicht nur als Thema oder Instrument vorstellen kann, als "Instrumentwoman."

Für den Leser, der Theweleits These über den Machtpol-Ankopplungseffekt und die mediale Produktionspolitik nicht kennt, sei hier eine kleine Passage aus einem Interview (BR -Online Forum, Radiosendung, 29.3. 2007) mit dem Autor wiedergegeben: Er spricht hier gerade vom "Instrumentman" Orpheus, dem Musiker-Dichter mit der Leier:

Orpheus wird also eine neue Sorte Musiker – und verliebt sich dabei in seine Leier, in die Leier, die er permanent mit sich trägt. Das wirkliche Paar, das den Hades verlässt, sind Orpheus und die Leier, die er ansingt: "Du, meine geliebte Leier, die es geschafft hat, die Geister der Unterwelt zu beschwören..." Eurydike marschiert beim Verlassen des Hades brav hinter ihm her. Irgendwann fragt sich jedoch Orpheus, ob sie wirklich noch hinter ihm geht. Genau dies hätte er jedoch nicht tun dürfen, denn es war ausgemacht, dass er sich beim Verlassen des Hades nicht nach ihr umdreht. Er verliert sie also wieder. "Natürlich" hat er ihre Schritte nicht hören können, weil er dauernd singt und dauernd auf der Leier spielt. Und außerdem ist sie ja immer noch nur eine Schattengestalt, die erst außerhalb des Hades wieder zu einer konkreten Gestalt hätte werden sollen. Es stellt sich jedenfalls heraus: Die Frau im Hades ist wichtig. Die Frau im Hades wird von diesen Leuten, von diesen Artisten gebraucht als eine Art Verbindung zur untergegangenen Geschichte. Denn Künstler reden ja immerzu mit Toten: Sie reden immer mit ihren Vorgängern, seien das Schreiber gewesen oder Komponisten oder anderen Architekten usw. Künstler stecken wirklich viel stärker in dieser Auseinandersetzung mit den Verstorbenen drin als andere Menschen.

"Normale" Menschen machen das z. B. mit Gebeten oder mit Totenbeschwörung und versuchen auf diese Weise die Kontrolle zu behalten. Der Artist bzw. der Künstler hat also immer eine ganz starke Jenseitsbindung. Die ganze Kulturgeschichte ist ja jenseits. Mit dem Mittel der Filmkamera geht das Ganze dann später sogar so weit, dass die Kamera die Toten lebendig vor Augen führt. Die Kamera ist daher bis heute unser am weitesten reichendes Hadesinstrument, wie wir an der ganzen Filmgeschichte sehen können. Davor war das die Schrift, waren das musikalische Kompositionen usw. Die Frau bekommt in dieser Konstellation die Rolle, dass sie, wie ich das nenne, das Kabel zum Hades bildet. Das macht auch die Reihe der toten Frauen aus, denn das ist doch sehr auffällig bei diesen Artisten: Sie bleiben fast nie bei einer Frau, sondern es gibt eine zweite, eine dritte und auch oft noch eine vierte. Merkwürdigerweise ist es so, dass immer an den Umschaltstellen ihrer Kunstproduktion eine neue Frau auftritt.

Diese neue Frau ist bei den Komponisten oft eine Sängerin; später, bei den Autoren, ist sie Schreibmaschinistin; bei den Malern oder Modedesignern ist sie Modell; bei den Dramaturgen und Schriftstellern, die Theaterstücke schreiben, ist sie Schauspielerin usw. Es gibt fast immer diese Verbindung, dass diese Frauen – ob man nun als Beispiel Hamsun nimmt oder Brecht oder Fitzgerald oder eben Benn usw. – zwar als Geliebte geheiratet werden, sie aber gleichzeitig auch so eine mediale Funktion haben. Wenn diese Frauen ihre mediale Funktion verlieren oder sie sich darin verbraucht haben, dann verlöscht auch die Liebe, und es taucht eine andere auf, die diese mediale Funktion, und deswegen nenne ich sie "mediale Frauen", besser erfüllen kann. Dies habe ich dann "Orpheische Produktionspolitik" genannt. Das ist also die Produktionspolitik des europäischen Mannes als Künstler, als Geniefigur. So geht dieser Mann mit Frauen um: Das heißt, das, was er seine Liebe nennt, lässt er von einer medialen Konstellation unterfüttern.

 

Für unsere Auseindandersetzung mit Wahrnehmungschoreografien ist die Rolle des "Modells" nicht unerheblich (das Thema Liebe stand nicht zur Debatte), ebenso wie die Frage der Normalitätsbehauptung durch Kontrolle, obschon in den ersten Proben und Workshops eher die musiktheatrale Handlungform als Basis genommen wurde, im direkten Spielen mit Objekten und Lauten, die sich zusammenfügen zu einer Klanglandschaft oder einer Übertragungstechnik. Hier ging es um den ungewohnten Gebrauch von Objekten, gegenfunktionalisierte Instrumente, und damit aber ebenso um Fiktion, schräge (laterale) Ebenen, Irritation, und Suspension von Beurteilung, Glossolalie, und Onomatopoetik. Interaktion ist gerade dann eben auch Interaktion mit der Umwelt und mit den Objekten. Alles aus Glas, alles (nicht) transparent? anders? überzeugend anders?

In Bezug auf ihre Komposition Mecanica Natura schreibt Caroline Wilkins, dass es zu "einem 'Dialog' zwischen Maschinen und Rhythmen und Konstellationen der Umweltgeräusche kommt. In den 'Mechanismen' der Natur finden sich Parallelen zu ihren künstlichen Gegenstücken." Wilkins spricht von ihrem Interesse an Musikmaschinen, sowie deren Einfluss auf zeitgenössische künstlerische Entwicklungen. Die komplexen Rhythmen, polyphonen Texturen und 'gleitenden Tonhöhen', die z.B. Perrcy Graingers Maschinen ermöglichen, sind von den Klängen und Geräuschen der Umwelt inspiriert worden. Das Material für Mecanica Natura basiert auf Aufnahmen historischer und zeitgenössischer Musikmaschinen aus Australien, Deutschland und Ungarn, darunter die ‘Talking Machine’ des Künstlers Martin Riches. Darüber hinaus werden Originalton-Aufnahmen aus der natürlichen Umwelt Australiens und Europas verwendet, sowie meine Komposition für Flöte unter dem Titel "ffffff...", die direkt von Riches 'Flute-playing Machine' und von Naturgeräuschen angeregt ist. Durch die Verbindung bestimmter Natur- und Umweltgeräusche entsteht eine sich kontinuierlich ändernde Klanglandschaft, akzentuiert von maschinellen Klängen...Von Anfang an war eine mehrkanalige Verteilung des Klangmaterials vorgesehen."

Unser Klanghörraum hat auch dieses Verteilungsspektrum, und die tragbaren Instriumetenkleider, die Michèle Danjoux entwickelt, sind ebenfalls als polyphone Texturen konzeptionell entworfen. In diesejährigen Labor sollte das Bandoneokleid erweitert werden, und am Donnerstag, den 30,. Juli, fand auch unter Leitung des Technikers Markus (ein Mitarbeiter des Liquid Penguin Ensembles) ein Workshop über Audiotechnik statt, bei dem verschiedene kleine, tragbare Lautsprecher aneinander gereight wurden in serieller Schaltung, um solche Amplifikatoren dann auch an tragnbaren Kleidern zu testen. Unser Vorstellung der polyphonen tragbaren Elemente (Kleider) geht davon aus, dass der Performer die tragbaren Klänge im Raum distribuiert, und in die performative Handlung oder Choreographie einbezieht. Das Konzept einer "Installation" schliesst dabei die Bewegtheit der Zuhörer mit ein, denn eine Installation ist kein Konzert, es wird keinen Publikumsraum (mit Stühlen) bzw. eine Bühne geben, sondern nur einen ganzheitigen Klanghörraum, in dem man sich bewegen kann. Der Unterschied zwischen Bühne und Klanghörraum besteht darin, dass es natürlich im letzteren keine Zentralperspektive mehr gibt, und keine markierte Grenze zwischen Darsteller und Rezipient; die Codes der Wahrnehmungsmechanismen verschieben sich, eben so wie auch gerade Bildhaftigkeit (im Sinne von Rollen oder darstellerischem Gestus) verschoben wird, wie es Penelope Wehrli so markant in ihren letzten Szeonographien ausprobierte hatte, z.B. ihrem camera orfeo, einer Installation, die 2008 beim CYNETarts festival in Dresden-Hellerau vorgestellt wurde. Ich zitiere hierzu aus meinen Notizen über diese Aufführung:

 

Camera orfeo, Wehrli's new installation, is subtitled “ an auto-choreographic and media composition” and shows endoscopic images of the vocal cords of a singer while
singing the aria "Possento spirito"/"Orfeo son lo" (Claudio Monteverdi) and, among other things, video images of dancers which are fed into a circular system controlled through the random movements of the visitors. The musical, choreographic and visual source material is continuosly recombined and transformed into a kaleidoscope of images and sounds through the use of cameras that register what goes on in the exhibition and performance space. Using similar kinetic (moveable) screens and plexiglass surfaces as in
Bluebeard’s Castle, Wehrli here ventures to set up a more complex programmed environment that has generative (algorithmic) dimensions and integrates the presence and movements/locations of the visitors into the reflective surfaces and the modulations of the visual composition.

In other words, the audience moves freely within the installation whose spatial modules carrying the image projections are in constant motion. The music can be heard from the speakers some of which are also moving. Via camera tracking the visitors’ movement causes signals to be sent, though they don’t perceive this directly. Specific music or video sequences are thus activated which can then,_in extension, create other levels of images. There will always suddenly be moments when, as a result of spatial constellations, the flow of images and sound that surrounds the performance site will dominate the interior space via a live video and sound feed, and thus erasing Eurydice’s projected image. For a determined time period the sensors then remain switched off before they can be reactivated.


According to Wehrli, camera orfeo is an attempt to transfer the neuronal process of remembering, which is simultaneously a process of new definition and erasure, onto a theatrical space. I have briefly described the concept and compositional structure of this work which I did not witness directly, but I had an opportunity to talk to the artist before my departure from Dresden. I also heard audience reports after the opening night, describing how individual visitors were experiencing the ephemeral magic of the installation, having been confronted with constantly changing new musical and spatially choreographed constellations and contexts as permutations of the composite material. The interactional premise of this work is provocative, since it implies a kind of “wearing down” or loss of the (im)material contents, of the “protagonist” of Monteverdi’s passionate persuasion aria, directed at the god of the underworld, against the loss/disappearance of Eurydice, her repeated slippage back to the underworld and away from the Orfeo’s grasp. The audience obtains the (camera) point of view of Orfeo, projecting or imagining the woman who returns to be lost again (and again and again) in a fantasy of re-membering. The visitors’ process of listening and observing, Wehrli said, will be subsumed under this constant process of remembering. The loop-like character of the process, which is already present in the musical structure of the aria, seems to be endless; but the material is limited. It is used up by the visitors.

 

Im Gegensatz zu Wehrlis Szenographie hatte unser Team keine Vorkehrungen getroffen, computergesteuerte motion-tracking oder camera-vision Schnittstellen bzw kinetische Objekte und Projektionsapparate in den Raum einzubeziehen, sondern wir wollten mit minimalen Mitteln erst einmal ein reduziertes, eingebettetes Gerüst des Auditiven und psychologische Fragen der Wahrnehmung untersuchen. Dabei wäre auch beobachten, wie Besucher ein ortsspezifisches Arrangement aufnehmen würden, wenn zum einen ein blosser Klangraum mit wenigen Objekten in einer vorgegebenen Architektur blossliegt, und wenn zum anderen narrative Elemente durch Stimmgeräusche und projizierte Sprache mit dem Resonanzraum in ganz leichte Schwingungen versetzt werden. Die Schwingungen können dabei so einfach sein wie die Drehmonente eines Kreisels, der auf Stein Echo erzeugt, ein Kratzen, ein rotierender Lichtpunkt im Dunklen, "a trace of pure night." Unser Team entschloss sich, am vorletzten Abend eine Durchlaufprobe öffentlich durchzuführen, und am Samstag (1. August) eine Begehung der Installation anzubieten, während der wir dem Publikum die Komponenten der Klangraumkompositionen und Performances nacheinander und nebeneindander vorstellen während der besagten Zeitspanne 21:oo - 22:oo.

 

Dunkel werden

 

Wenn aber eine Frau aus Glas durch die Schattenwelt wandert, und man hört in der Ferne leichte Stimmengeräusche, oder aus dem Keller dringen dunkle Wasserklänge nach oben durch ein Gitterrost, wie ordnet man diese sensorischen Erlebnisse zu? wem oder was ordnet man Klangerfahrung zu? Auf der anderen Seite des Spiegels ist eine reine Versuchsanordnung, das vorläufige Ergebnis von Arbeitsteilen des Workshops, die hier zum ersten Mal zusammengefügt werden. Der Besucher tritt in einen leeren Raum, und als erste Station werden die Regenerationsklangkompositionen der Resonanzaufnahmen gespielt: 10 KV. Der erste Klanghörraum ist ein Schattenraum, das wenige, noch vorhandene Abendlicht fällt auf den Steinraum, in dem nichts passiert, sondern nur Klanggeräusche wahrnehmbar sind. Wir erklären den Besuchern kurz die Aufnahmeprozesse, und zeigen ihnen dann den Glassraum und Sybilles Zimmer (Ludmila liegt, in ein Plastikkleid gekleidet, auf dem zerbrochenen Boden, auf Gitterstäben, unten tief ist der Keller, und die Frau ruht gleichermassen auf den durchlässigen Stahlträgern des Fussbodens, gelegentlich verändert sie ihre Position, ihr Arm oder ihr Bein sacken ab und fällen durch die offenen Stellen, hängen herab. Jedesmal, wenn sie sich bewegt, hört man das Rascheln des Kleids, sonst nichts. Das Zimmer ist leer, in zartes blaues Neonlicht getaucht. Im grösseren Raum wird es dunkler. Die Besucher gehen auf die andere Seite, und sehen die transparenten Plastikfolien, die wie ein Netzwerk gespannt sind und den Raum unterteilen, in einer dynamischen Bewegung zur Mitte hin, wo auf dem Boden der kleine Laufsteg gebaut ist, aus Glaswolle und zerbrochenem Glas. Die Performance, die dort stattfinden sollte, findet nicht statt, da Caroline am Vorabend erkrankt ist. Wir hören ihre Stimme, an einer Steinwand erscheint ihr Bild, eine Videoprojektion aus der Probe. Man sieht Caroline in einem weissen Bademantel, sie singt, als wäre sie dem Wasser entstiegen. Eine kleine Bodennische, an der Seite der Wand, wird mit Wasser gefüllt. Stefan Scheib spielt dann eine elektronische Wasserkomposition, die wiederum von ganz unten, aus dem Keller der Lautsprecher, aufsteigt wie ein Nebel, immer stärker anschwillt und das Gebäude zum Zittern bringt. Langsam ebben die Vibratonen ab. Danach, Stille.

Diese leichte und gar nicht lastende Stille wird dann plötzlich von einem Kind unterbrochen, dass auf der Südseite mit dem Kreisel spielt, sie spielt dieses Spiel drei Mal, man sieht wie der kleine Körper des Mädchens sich über die auf dem Boden gemalte weisse Spirale beugt, hin und her wogt, während sie den Kreisel zum Schwingen bringt. Auf der mittleren Wand erscheint jetzt fast gleichzeitig ein Film derselben Szene, in Zeitlupe, am Vorabend aufgenommen und geschnitten. Auf der gegenüberliegenden Seite, im Fast-Dunkel, sieht man leichte Farbreflektionen auf den transparenten Plastikfolien, die wie Segel leicht im Wind schweben. Ein spiegelverkehrtes Wort erscheint: "Kristall." Auf der anderen Wandseite führt Katharina die Besucher zu einer hängenden Reihe von 16 kleinen Lautsprechern, aus denen die leisen Stimmen fliessen, es scheint sich um eine Unterhaltung zu halten zwischen mehreren Menschen verschiedener Sprachherkunft, aber es sind keine Sätze zu hören, sondern nur die Stellen der Überbrückung, der Unterbrechung, wenn man im Satz steckenbleibt, und nach etwas sucht, und diese Suche mit etwas füllt, mit stockenden Lauten, Verlegenheiten, Nachdenkpausen, Zwischenräume in der Partitur.

Zum Schluss, aus dem Dunkel heraus, kommt die junge Frau im Glaskleid und geht vor/hinter uns weg, sie ist Eurydike geworden vielleicht, oder nur ein Mädchen, das in ein Bild hineingeht, in sich vertieft, irgendwie abwesend. Sie geht langsam, und macht Geräusche as Glas, ihr Kleid ist aus zerbrochenen und aneinandergehefteten Glasfragmenten, die in ihren jungen Körper zu schneiden scheinen, aber es ist kein Blut zu sehen, es scheint zu passen, alles aus Glas, und der Körper kein gläserner Mensch, wie man ihn im Dresdner Hygienemuseum bewundern kann, kein Maschinenmodell, welches das System (den Organismus) Mensch darstellt,. sondern ein Schatten, der einfach durch uns durchgeht. Die Besucher starren auf die Erscheinung, trace of the night, längst ist die Musik verstummt.

Der Klanghörraum hat jetzt keine Geheimnisse mehr, ein wenig Licht brennt nun aus den Lampen, wirft schräge Schatten auf den Boden und den steinernen Laufsteg (hanamichi), an dessen Seite entlang die junge Frau langsam schreitet, auf den Glasraum zu, in dem sie verschwinden wird, zu sich selbst zurückkehrend. Sie spricht keinen Ton, im Hintergrund (was ist das aber jetzt, in diesem Raum? wo ist hinten und wo ist vorne?) hört man die sich wiederholende Bewegung des Kreisels auf dem Filmband. Die Kamera (Hadesinstrument) nimmt das Geräusch der Aufnahme wieder auf, Kreisläufe (loops) entstehen wie selbstverständlich, Generationen von Generationen. Das Lied ist Bewegung, wie Stefan's Kontrabass-Bogen, und Bewegung, wie auch immer leicht, schwerelos, bedeutungslos, poetisch und abstrakt, kehrt sich um, verkehrt sich, Glaston aus Bewegung, Bewegung zum Glas, Verkörperung eines taktilen Gefühls des Mondes auf der Haut, Silbermond, vermischt mit dem leichten dunklen Klang des Basses. Ein Akkord aus Raum, Glas, Kontrabass, in der Bewegung. Die Zuhörer konnten eben noch den Geruch in Sybilles Zimmer spüren, Ludmilas Gliedmassen durch die Decke fallen sehen, von Schwerkraft bewegt oder im Schlaf ohne Kontrolle dem Körper entfallen, das Wasser auf Stein und das Wassergeräusch aus dem Keller (Lautsprecher) wahrnehmen – nummehr ist Blanchots Orpheus auch nicht mehr präsent, sondern nur noch eine Bewegung ist spürbar, wie ein melisma, eine Körperbewegung, die Wort geworden sein könnte (oder eben diese Unterbrechungen des Satzzusammenhangs, des Bedeutungszusammenhangs der Du-Norm Menschen).

The song is a language that does not refuse Hades but dips down into it, "speaking" at the level of the abyss and thereby "giving word" to the abyss itself ("qui ne repousse pas l'enfer, mais y pénètre, parle au niveau de l'abîme et ainsi lui donne parole"). So schreibt Alessandro Carrera in seinem Essay über "Blanchot's Gaze and Orpheus's Singing", in einem Buch über die Philosophies of the Visible (hg. von Wilhelm S. Wurzer, London 2002, p. 49). Dabei wird uns vorgeschlagen, über den Blick im Kontext der Musik oder der Tonkunst nachzudenken; den Ton kann man nicht sehen, und die essentielle Nacktheit des Gesichts der Eurydike, die Blanchot annimmt, spiegelt den Blick (régard) des Betrachters oder Zuschauenden zurück, "withourt light, different from any vision." Es ist nicht einfach, diese philosophischen Passagen zu verstehen, die sich um das Nicht-Sehen der Musik mühen, aber es liegt auf der Hand, dass jede "Klanginstallation", die sich auf Klang beschränkt, sich der Sichtbarkeit und dem Zwang der Darstellungstheatralik widersetzt, Wahrnehmungsmuster verlagert und verändert, wenn sie sich entweder dem Klang, den Geräuschen verschreibt, und auch das Instrument (die instrumentale Performance und die damit zusammenhängende Virtuosität in der klassischen Tradition der Musik) unkennbar macht, wie es ja auch im Hörspiel vorkommt, dessen Imaginationsraum uns nur durch Klangeräusche evoziert wird. Visuelle Metaphern sind oft in dem Libretto Auf der anderen Seite des Spiegels anzutreffen, und die Herausfordering des Workshops lag eben vor allem darin, die normale (kausale) Wahrnehumg der Du-Norm Menschen, als auch unserer eigenen, wenn wir denn uns als normal verstehen, zu provozieren. Auch die wenigen Bilder, die in diesem 10KV Umschaftwerk entstanden, sind eigentlich keine Bilder, sondern audiophone Bewegungen im Raum - Klangkörper der Bewegung. Die Töne entstehen und werden lebendig, aber sie brauchen eigentlich keinen Anblick. Andererseits, wenn man auf etwas ganz einfach blickt, wie wird es zurückblicken? Was ist das für ein Kitzeln unter den Füssen, vermag man die Glasscherben spüren durch den Klang?

Ludmila Pimentel (c) 2009 Interaktionslabor

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Literaturhinweise oder Links:

Blanchot, Maurice, The Space of Literature, trans. Ann Smock (Lincoln: Univ. of Nebraska Press, 1982)

Blanchot, Maurice, The Gaze of Orpheus and other Literary Essays, ed P.Adama Sytney (New York: Station Hill, 1981)

Labelle, Brandon, Background Noise: Perspectives on Sound Art (London: Continuum, 2007)

Wurzer, Wilhelm S., ed, Panorama: Philosophies of the Visible (London: Continuum, 2002)

UKIYO Projkt

camera orfeo

Zwischen Hören und Sehen:

Bewegungen zwischen Hören und Sehen: Musik, Tanz, Theater, Performance und Film / Bayreuth, November 2009

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Texte und Kommentare zum Labor 2009 werden hier veröffentlicht

Texts and commentaries on the 2009 lab and related research subjects will be published here.