IndustrieKultur Saar GmbH

 

Tag der Offenen Tür / Performance Installations

 

 


Internationales Interaktionslabor stellt neue Medienkunst in der Göttelborner Grube aus

Ein Bericht

 


Vom 1. bis 14. Juli fand in der ehemaligen Göttelborner Grube ein Labor für interaktive Medienkunst statt, zu dessen Abschluss die 20 Künstler, Programmierer und Techniker aus aller Welt am Wochenende des 12.-13.Juli eine nächtliche Performance-Installation in vier verschiedenen Gebäuden des Zukunftsstandorts Göttelborn anboten sowie die interessierte Bevölkerung an beiden Tagen zu Führungen durch das Labor einluden.


Der aus dem Saarland stammende, deutsch-amerikanische Multimedia-Choreograf Johannes Birringer (Houston, Texas) entwickelte das Konzept und die interdisziplinäre Form des Arbeitsprozesses, und auf Einladung der IKS Industriekultur Saar trafen dann Künstler und Medienfachleute aus vier Kontinenten zu dem spannenden zweiwöchigen Interaktions-Labor auf dem Gelände des ehemaligen Bergwerks Göttelborn ein. Inmitten einer sich wandelnden Landschaft der Industriekultur nahm das Labor in der Schwarz-Weißkaue die Arbeit auf, installierte Computer, Webcams, Ton-, Licht- und Videogeräte, und packte Koffer aus, in denen man Mikrophone, Sensoren, digitale Kameras und drahtlose Sender mitgebracht hatte, um auf ungewöhnliche Weise die Beziehungen von Kunst, Wissenschaft und Technik an diesem besonderen Ort untersuchen und mittels integrierter Projekte deren gegenseitige Bezüge und deren Einfluss auf das tägliche Leben veranschaulichen zu können.


Nach einigen Tagen der Erkundung, Feldforschung und Kontaktaufnahme mit der Bevölkerung entstand im Umfeld der weißen Landmarke Schacht IV zuerst einmal ein reger Wissensaustausch. In täglichen Workshops tauschten die Medienkünstler Erfahrungsprozesse aus ihren unterschiedlichen Praxisbereichen aus; es bildeten sich Teams, und die nächste Arbeitsphase bestand aus Skizzen, architektonischen Ideen, Film- und Tonaufnahmen und der Programmierung von Schnittstellen. Software Programme wurden umgeschrieben, Netzverbindungen zu "Aussenstationen" (auf dem Göttelborner Gelände und in Saarbrücken) wurden hergestellt; ein digitales Archiv aus Zeichnungen, Notizen, Geschichten, Fotografien, Klangraum-experimenten und Tanzperformances (u.a. auf dem Dach des Eindickers) formierte sich.(www.iks-saar.net). Dabei erhielten die Laborteilnehmer auch Unterstützung vor Ort; Willi Meiser, WM Computersystemtechnik Göttelborn, bot seine freiwillige Hilfe an, und Abiturient Sebastian Meiser sowie die aus Jena angereiste Studentin der Kommunikations-wissenschaften, Beatrice Sauerbrey, arbeiteten an der Dokumentation und der Entwicklung des digitalen Archivs.


Auf konkrete Weise setzte sich das Interaktionslabor mit den selbstdefinierten Arbeitsfeldern auseinander: Kommunikations-Technologien, Interaktive Medien, Virtuelle Räume. Die "Stadt"-Architektur des Grubenareals wurde zur Inspirationsquelle für Interaktion, die Göttelborn zu einem Zwischen-Zeitraum gestaltete, damit also den Standort weder - im Hinblick auf Nachhaltigkeitsforschung - als etwas zu Bewahrendes oder Museales begreift , noch als Location und Performance-Ambiente im Sinne des Schichtwechsel-Festivals, sondern als offenen Ort von Transformationsprozessen, als Ausgangsort für mobile Applikation und Gestaltung neuer Kommunikationstechnologien und intermedialer Versuchsanordnungen, die vernetzbar sind und damit auch übertragbar an andere Orte.


Ein Labor vermittelt darüber hinaus auch immer Wissensprozesse, die auf andere Lernbereiche angewandt werden können. Übertragbarkeit bezieht sich also einerseits auf die Austauschmöglichkeiten der neuen Kunst durch Medien (wie z.B. Telepräsenz, Telematik, Videokonferenztechnologie), die heute auch zahlreiche Wandlungen im Gefüge des Kunsterlebens und -verstehens verursacht, andererseits auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem urbanen Raum der Industrieanlagen. Es wurden Fragen aufgegriffen, die von der IKS implizit gestellt waren: wenn neue Welten enstehen sollen, wenn Wandel von Strukturen nicht nur Prozesse und neue Arbeitsfelder initiieren, sondern auch gestalten heisst, dann kann das Interaktionslabor als richtungsweisendes Szenarium gelten. Das Labor führte sich handwerklich ein, es funktionierte Räume um, erfand Bildwelten und Vernetzungen von verschiedenen Ausdrucks und -kommunikationsformen, und suchte die Lösung von Problemen.


Der Kanadier Jeff Mann, zum Beispiel, baute eine Erweiterungsantenne, die es den Apple airports ermöglichte, über eine längere Distanz (vom Schachtturm 4 aus) drahtlose Internetverbindung zu den verschiedenen Laptops auf dem Boden herzustellen. Sher Doruff (WAAG, Amsterdam) programmierte eine Keyworx Konfiguration, die den Empfang und die direkte Distribution von Bildern des Publikums (während der Performance) auf die Website ermöglichte.
Das Thema der Nachhaltigkeit bzw. der Transformation eines historischen oder mythischen Orts der Industrie wurde am letzten Wochenende von der Gruppe im Anschluss an die interne Präsentation des neuen Films der Luxembourgerin Bady Minck diskutiert: "am anfang war der blick" lief soeben auf dem Filmfestival in Cannes und handelt vom legendären österreichischen Erzberg und von den unzähligen Bildern, die sich Menschen und die Tourismusindustrie von diesem Erzberg machen und gemacht haben. Dieses Phänomen des Ortes der Bilder (und das Überleben in Bildern, denen die realen Orte nicht mehr entsprechen) wurde auch im Hinblick auf die Zukunft eines Standortes und der urbanen Geographie des noch bewachten Geländes der Grube Göttelborn diskutiert; viele der Künstler wiesen darauf hin, dass der geschlossene Raum (nach Abbau der Altlasten) geöffnet werden solle und der unmittelbaren Bevölkerung "selbst-verständlich" in Bezug auf Veränderbarkeit werden solle.


Das Interaktionslabor stellt damit auch die nicht immer klar umrissenen Umstrukturierungspläne der IKS in Forderung. Investition in den Standort, oder die Schaffung neuer Arbeitsplätze, kann nicht nur das Hineintragen von Kunst und Kultur in das Areal alter Industrieanlagen bedeuten. Interaktivität bedeutet In-Bewegung-Setzen nach aussen, performative Prozesse und Lernorganisation, die handlungsbezogen sind und neue, komplexe Lebenswelten erschliessen. Kunst durch Medien meint hier vor allem Verfahrensweisen und Praktiken, die kommunikative Handlung in verschiedenen Bezugsfeldern in öffentlich-sozialen Räumen im Sinne von erfahrungsgestaltenden Interaktionsprozessen begreift. Ein solches Labor kann aber auch eine Firmengründung oder die langfristige Einrichtung eines festen Labors sein, denn es ging Projektleiter Birringer auch um die stärkere Vernetzung des Labors mit bereits entstehenden Partnerschaften innerhalb des Teams (zwischen der WAAG Society for Old and New Media, Amsterdam, der Mobilfunkentwicklungsfirms REM in Toronto, dem Dresdner blueLab und der Nottingham Trent University) sowie mit Partnern, die in der Region und der Gemeinde Quierschied-Göttelborn gefunden werden.

Lynn, Paul and Mark


Ein solches Netzwerk schafft praktische Allianzen zwischen Kunst, Wissenschaft, Technologie und Lebenswelt, die sich nicht länger mit einer kurzfristigen Magie des Theaters in Industriehallen zufrieden geben, keine Erlebnis-Ästhetik produzieren, sondern den in der Gegenwart immer stärker präsenten Interaktivitätsbegriff - die Gestaltung von Benutzerschnittstellen und Handlungskonzepten - untersuchen.


Von ganz unterschiedlichen, und auch kulturell und sprachlich verschiedenen, Perspektiven und Erfahrungshorizonten herkommend trafen sich in diesem Labor Künstler und Programmierer aus Deutschland, den Benelux-Ländern, England, Spanien, Kanada, USA, Lateinamerika und China. Gemeinsam verband sie das Interesse an der Interface-Entwicklung, und an der Entdeckung neuer, innovativer Aspekte der Interface-Gestaltung und der Schaffung computergestützter virtueller Räume, d.h. insbesondere der kulturellen Anwendung und Förderung von Technologien, die im kommunikativen Handeln an den menschlichen Körper angekoppelt werden und Echtzeitreaktionen im System dieser virtuellen Räume auslösen. Zum Abschluss seien einige Beispiele genannt, die während der Führungen am Tag der Offenen Tür und der mitternächtlichen Performance das positive Interesse des Publikums provozierten. Die Architektin Marion Tränkle gestaltete die "Zellen" der Schwarzkaue in sinnlich erfahrbare Apartments um, jeweils einer anderen Benutzung anheim gestellt. Kameras, Sensoren und Monitore wurden zu Werkzeugen, mithilfe derer neue und vertraute Wahnehmungsanordnungen (auch der Erzählung, des Archivierens, der Informationserzeugung) ausprobiert wurden, u.a. ein interaktiver "Diskussionstisch" über die Zukunft Göttelborns, und ein Memory Spiel mit Fotografien der saarländischen Künstlerin Julia Baur, die die fantasiereiche Benutzung (für Freizeit und Jugendkultur) der grossen freien Flächen auf der Südseite des Grube andeuten. Der kanadische Ingenieur Jim Ruxton baute die verschiedenen Sensoren und Mikroprozessoren, die in der Kaue zum Einsatz kamen, z.B. auch die "glühende Seife" in den Waschräumen, die zu den Besuchern sprach, wenn jemand durch die ultrasonischen Schranken trat.

 


Marion's "Diskussionstisch"


In der Weisskaue hatte der Berliner Komponist Orm Finnendahl einen riesigen "Klangerzeugungsraum" aufgebaut, in dem die Besucher selbst die Klänge per Mikrophon aufnehmen konnten, die dann vom Computer in Echtzeit im Raum verteilt und weiterentwickelt wurden. Die TänzerInnen Koala Yip (Hong Kong) und Marlon Barrios Solano (Venezuela) begeisterten mit einer Bewegungsimprovisation mit Sensoren, die ebendiese Klänge weiter in immer neuen Manifestationen zum Schwingen brachte. Frau Yip wies darauf hin, dass in diesem Zusammenspiel ein neuer Erfahrungsprozess entsteht, ein Er-tasten und Be-greifen von unsichtbaren Zusammenhängen zwischen Geste, Bewegung und Klangraum, die vom Handelnden selbst bestimmbar und kontrollierbar sind, nicht von der Maschine. Wie in den anderen Situationen ist auch bei dieser interaktiven Schnittstelle das entscheidende Merkmal die Prozessualität des Klangs, die Präsenz des Handelnden, denn es handelt sich ja nicht mehr um Musik in der Konserve, sondern um Klangtexturen, die im Augenblick der Wahrnehmung erst entstehen und sich sofort verändern können, wenn sich die Datensignale an den Rechner ändern.

Am Ende des Südkorridors der Kaue, in einem kleinen, intimen Waschraum, der von den Steigern benutzt wurde, war eine stille Videoinstallation von Marija Stamenkovic Herranz aufgebaut. Von zwei Spiegeln reflektiert befand sich auf einem alten Eisenstuhl ein Monitor, der Schwarzweiss-Filmszenen von einer Frau zeigte, die das "Auge" des Trichterlochs auf dem grossen steinernen Eindicker in einer Kreisbewegung umschritt. Es war eine gespenstische Szene, aufgenommen von einer Webcam, die Raum und Zeit wiedergibt, allerdings hier genau das Gegenteil einer live Webcam, nämlich einen Zeit-Raum, in dem durch den Schnitt (Einblenden, Ausblenden, Überlagern) gleichsam surreale Verdoppelungen und Verfielfältigungen der Figur Marijas enstehen. "Do U C Me You," mit einem Titel, der mit einem Wortspiel auf eine frühe Form der Telepräsenz hinweist, greift eine Art virtuelle Interaktivität kommentierend auf: die Figur der Darstellerin (und Autorin) ist eine Doppelgängerin ihrer selbst. Ihre Schatten verschwimmen langsam in der extrem überbelichteten Szene, und die Figur, die langsam und schweigend ein klösterliches Ritual zu absolvieren scheint, verschwindet aus dem Blickfeld, wie auch der Raum der Installation selbst nur noch aus Spurenelementen zu bestehen scheint, die auf Anwesenheit verweisen.


Eine ähnliche Transformation, hier im Sinne eines Fliessens, Entstehens, und Vergehens, war im Verlesesaal zu hören, wo der brasilianische Komponist Paulo C. Chagas eine vielschichtige Komposition von Stimmen installiert hatte, die gleichzeitig mit der auf den Boden projizierten Sprachschrift des Holländers Arjen Keesmaat erfahrbar wurde. Die Worte, die scheinbar aus dem Boden zu treten und zu entfliehen schienen, wurden nur sichtbar, wenn Besucher sich auf eben diesem Feld bewegten und dadurch die Sensorik der Infrarot-Kamera auslösten. Zuvor hatte auf diesem Feld die Kanadierin Camille Turner ein rituelles Gedicht an die "Santa Barbara" addressiert, und im Dialog dazu antwortete der Quierschieder Gustav Weber Chor mit einem Lied. Turner, die bereits im Ort während des Sportfestes der Germania Göttelborn mit ihrem überraschenden Auftritt als "Miss Canadiana" für viel Aufsehen gesorgt hatte und dabei die Bewohner zu Porträts und Erinnerungsphotos mit ihr ermunterte (die jetzt ausgestellt wurden, zusammen mit den Antworten, die Bewohner auf Fragen Turners über die gewünschte Zukunft ihres Ortes bereitwillig gaben), hatte den Chor bei Proben in Quierschied kennengelernt und zu diesem Interface mit den spirituellen Dimensionen der neuesten Elektronik eingeladen, denn auch die digitale Musik ist ja nur ein Instrument wie alle anderen Kulturtechniken auch. Saxophonist Hartmut Dorschner spielte dazu eine akustische Improvisation auf seinem Instrument; zuvor hatte er eine elektronische Komposition eines mehrfach prozessierten Geräuschs (das Knarren einer alten Eisentür) gespielt.


Auf dem Weg zum weiter nördlich gelegenen Fördermaschinengebäude 4, wo der Abschluss der nächtlichen Performance stattfand, bekam das Publikum mehrere BlackBerrys zur Hand, die neuesten Mobilcomputertelephone der Firma REM, die die kanadische Medienarchitektin Renn Scott mitgebracht hatte. Ein "Sender" auf dem Schachtturm schickte SMS Botschaften an die Benutzer, half ihnen bei der Navigation und verwickelte die Kommunizierenden in ein Spiel, das vom "Tower" aus mit der Kamera aufgenommen und auf direktem, drahtlosen Weg (via Apple Airport) auf die Website des Labors gelegt wurde, d.h. Bilder des Spiels der Teilnehmer waren bereits auf dem Internet bevor die Besucher die letzte Station des Abends erreicht hatten.


Im Fördermaschinengebäude erwartete das Publikum ein experimentelles Arrangement, das einem fast wortwörtlich den Atem verschlagen konnte, denn der riesige dunkle Raum, einschliesslich der gewaltigen Fördermaschine, war zu einem Resonanzkörper umfunktioniert worden, die westliche Mauer zur Filmleinwand. Die Zusammenarbeit von Lynn Lukkas/Mark Henrickson (Minneapolis), Paul Smith (Bristol)/Marija Stamenkovic (Barcelona), Kelli Dipple (Australien) und Yip/Birringer/Barrios-Solano führte zu drei Versionen einer interaktiven Film/Klang-Performance, die auf andere Weise die neuen Möglichkeiten der Sensorik veranschaulichte. In dieser Schnittstellengestaltung verändert die Körperaktion nicht nur die Klangwelt, sondern die subtilsten Veränderungen der Biomechanik, des Pulsschlags, Atems, und Herzrhythmus werden am Körper selbst gemessen (mittels eines Bioradios) und die elektrisch messbaren Signale als Daten dem Rechner eingespeist. Dort wandeln sie nicht nur die Klangprozesse in Echtzeit, sondern beeinflussen den Rhythmus und die Bildbewegung der Filmsequenzen, die vom Computer abgerufen (über Macromedia Director und Max/Msp/Jitter Softwareprogramme) auf die Wand projiziert werden. Während die Performerin Marija Stamenkovic sich von der Treppe herunter auf die flache Ebene des Raumes hinbewegt und mit Stimme, Atem und Körpergestus improvisiert, sich gleichsam findet und erfindet, schliesslich in einen wilden Taumel von Bewegungen steigert, erfährt das Publikum hautnah, wie Stimme und Pulschlag der Tänzerin die Filmbilder beeinflussen und damit die Dramaturgie der Geschichte. Wenn Stamenkovic den Atem anhält, steht auch der Film still. Die geballte Intensität, mit der die spanische Tänzerin dem Publikum diese vielleicht so noch nie gesehene Interaktion zwischen lebendigem Körperrhythmus und technisch reproduzierbarem und veränderbaren Bildklang vorstellte, war sicherlich einer der Höhepunkte des Abends.




Er machte auch die Vielfalt der interaktiven Schnittstellen (Klang, Bild, Körper, Stimme, Schrift, Raum, drahtlose Kommunikation, usw) und den Ausbruch aus erlernten oder theatralen Ausdruckskonzepten reflektierbar. Die Australierin Kelli Dipple hat zuvor eine kurze Spielimprovisation gezeigt, die sich mit dem von ihr gewählten Thema der "Abwesenheit" beschäftigte. Sie wollte auf das Verschwinden den Menschen in dieser ehemaligen Industrieanlage hinweisen, gleichzeitig aber auch das Ortlos-Werden durch Medien des Körpers, durch Körperzeichen, dramatisieren. Ihr Interface mit einer Kamera, die als Bewegungsmelder auf dunkle Kleiderfarben eines präsenten Körpers reagiert, war so aufgebaut, dass jede ihrer erkennbaren Bewegungen eine von drei nebeneinander gelegten Sequenzen in der triadischen Filmprojektion beeinflusste und die Dynamik der Kinematografie veränderte. Gleichzeitig lösten ihre Aktionen Klänge und gesprochen Passagen auf ihrem Computerprogramm aus.

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Wie Dipple hatte auch Birringer in der Grube gefilmt und eine 6-minütige Performance zusammen mit Koala Yip auf dem Dach des kolossalen Eindicker-Rundbaus choreographiert. Der Film mit dem Titel "Oracle" wurde jetzt allerdings nicht vorgeführt, sondern Birringer bat Yip, das "Orakel" auf dem Eindicker erneut in ihrer Sprache (chinesisch) zu befragen. Yips Stimme, durch ein drahtloses Mikrophon an den Computer gesendet, produziert nun im interaktiven Dialog einen neuen Film, der in dem Max/Msp/Jitter Verarbeitungssystem manipuliert bzw. neu generiert wird. Der algorithmische Prozess verarbeitet und "übersetzt" Yips Stimme in neue digitale Objekte, verzerrte, pulsierende, explodierende und schrumpfende Bildanimationen, die man auch als virtuelle Bilder bezeichnen könnte. Sie haben nichts mehr mit der usprünglichen Choreographie auf dem Eindicker gemein sondern "antworten" auf die Dynamik von Yips stimmlicher Intonation und Modulation der Fragen an das Orakel von Göttelborn

 

 

Das Interaktionslabor weist in die Zukunft und fragt, welchen Einfluss virtuelle Environments, d.h. also Möglichkeitsräume und intuitive Assoziationsräume auf die unmittelbare sowie technisch vermittelte Interaktion zwischen Menschen haben. Wie können Architekturen von virtuellen Bild-Klang-Räumen entstehen, die sensible Erfahrungsräume von Sozialität oder neue Bildüberlieferungen der eigenen Umwelt bilden? Welche Verhältnisse entstehen zwischen "Maschinen", tragbaren und unsichtbaren Medien, und den Menschen, die sie nutzen und deuten? Wie entwickeln sich Beziehungen zwischen Körper und Medien durch symbolische Handlungen, interaktive Spiele, die wir als Wahrnehmungen im Sinne eines kollektiven kulturellen Verhaltens verstehen?


Mit diesen Fragen will das Labor auf das Strukturwandelprojekt IKS aufmerksam machen, und die Partnerschaft, die jetzt begonnen hat, soll im nächsten Jahr fortgesetzt werden. Um eine tragfähige Kooperation und Kontinuität der Arbeit mit Medientechnologie von Göttelborn ausgehend zu gewährleisten, werden Birringer und die Projektkoordinatorin Uschi Schmidt-Lenhard (Saarbrücken) ein langfristiges Konzept erstellen, das weitere Konvergenzen zwischen Medien-Technologien und Kunsterziehung, Lernsystemen und kognitiven Prozessen, Design, Ökologie, Wirtschaft, Handwerk, Wissenschaft und Alltag untersucht. Das Interaktionslabor wird als Dialogpartner für Firmen und Kulturorganisationen in der Region bereitstehen, andererseits als interaktive Schnittstelle zu Interessenten in aller Welt dienen.


Zudem wurden während des Interaktions-Labors Gegenpole eingerichtet. Eine Zusammenarbeit mit dem Kindermuseum des Saarlandmuseums ist geplant, und eine "Remote Site" im K4 Forum Saarbrücken (vor der Stadtgalerie) war vom 9. bis 15. Juli installiert, die es Passanten in der Saarbrücker Altstadt ermöglichte, mit dem Interaktionslabor Göttelborn Kontakt aufzunehmen.

Der saarländische Künstler Klaus Friedrich, der mit dem Labor zusammenarbeitete, gestaltete diese Remote Site im K4 mit seinen digital verarbeiteten Bildern. Mit Kunsterziehern aus dem Saarland (u.a. mit Dorothee Augustin, Realschule Saarwellingen/Vorsitzende des BDK Saarland) ist ein Pilotprojekt -- "Interaktion im Unterricht - ein europäisches Zukunftsmodell?"-- in Vorbereitung, das sich mit herausfordernden Thesen an das Fach Kunsterziehung in Schulen richtet. Am 9. Juli fand bereits ein Interface mit Schülern statt; Ortsvorsteher Quint aus Göttelborn, der die Künstler in seiner Gemeinde begrüsst hatte, vermittelte den Besuch der Klasse 8m2 aus der Quierschieder Realschule, die dem Labor einen Besuch abstattete und mit den Medienarbeitern diskutierte. Zudem lud das Interaktionslabor die Arbeitsgruppe "The Virtual Mine" (Claudia Brieske, Monika Bohr, Leslie Huppert, Gertrud Riethmüller) zu einem Treffen ein; die Virtual Miners hatten 2001 ein vernetztes Ausstellungsprojekt auf der Neunkirchener Schachtanlage Gegenort veranstaltet. Ein Austausch zwischen beiden Gruppen fand statt, und Kontakte für die Zukunft wurden aufgebaut.


Noch war die Einbindung der Göttelborner Bevölkerung eher sporadisch, doch die Integration eines Männergesangsvereins aus Quierschied, - die Verschmelzung des Traditionellen mit dem Neuen - gelang auf erstaunliche Weise. Stärker als in diesem Jahr wird man künftig auf Kontakte mit Schulklassen, aber auch mit High Tech Firmen in der Region Wert legen. Allgemein sollen die Menschen über den natürlichen Umgang mit digitalen Techniken informiert werden. Die ersten Schritte auf der Suche nach den Verbindungen vom Vergangenen mit dem Zukünftigen sind gemacht: im nächsten Jahr wird darauf aufgebaut. Mit dem Bergwerk in Göttelborn ist es zu Ende, mit Göttelborn nicht.




(c) Johannes Birringer

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