CRITICAL WRITINGS

 

no.6

Rebecca Saunders' Klang-Räume

Mark Rothko, No.. 14 Yellow Green

"I am not an abstract painter. I am not interested in the relationship between form and color. The only thing I care about is the expression of man's basic emotions: tragedy, ecstasy, destiny."
- Mark Rothko - abstract expressionist 1903-1970

 

Gerhard Rohde

 

 

Geheimnisvoll wirkende Klänge duirchziehen das gross mehrstöckige Haus. Beim Eintritt in den ersten Raum erklingen hundert und mehr kleine Spieluhren, wie ein Schwarm Vögel versprühen sie förmlich ihre klingelnden, schnurrenden, sirrenden hellen Geräusche. Ein schöner Klangteppich wird da ausgelegt, auf den man über eine weitgeschwungene Treppe in die oberen Räume gelangt. Dort trifft man in Kabinetten und Sälen die Musiker des in Genf ansässigen Ensembles Contrechamps. Zwei Klarinettisten, zwei Trompeter und einen E-Gitarristen, zwei Pianisten, zwei Schlagzeuger, zwei Geiger, zwei Kontrabassisten und einen Cellisten, insgesamt dreizehn Instrumentalisten.

Sie bilden kein geschlossenes Orchester, verteilen sich einzeln oder in kleinsten Gruppen durch die Räumlichkeiten des Märkischen Museums zu Witten an der Ruhr. Rebecca Saunders heisst die Komponistin, die sich all das ausgedacht hat, und ihre Komposition für das Museumshaus trägt den Title “chroma IX”. Die “Wittener Tage für neue Kammermusik” hatten die englische Komponistin eingeladen, ihr “chroma”-Werk, das sie schon an anderen Orten präsentiert hatte, auch im Wittener Museum zwiischen den Bildern und Skulpturen zu inszenieren.

Das Wort “inszenieren” trifft dabei das ästhetische Konzept der Komponistin genau. Ihr Werk “chroma” is niocht vergleichbar mit üblichen Wandelkonzerten, bei denen in jedem Raum irgendjemand etwas spielt. Bei ihr durchdringen sich Klänge und Räume, bis sie zu einer einzigen Einheit verschmelzen. Dabei stellt sich für sie die Frage: Wie viel Musik erträgt ein Raum? Und weiter: Wann ist er gesättigt? Wie schaffe ich Transparenz? Wo findet Stille ihren Platz?

Mark Rothko, No. 14 Red

 

Wer sich as Zuhörer in Rebecca Saunders’ “chroma” aufhält, stehend, sitzend, umherwandelnd, der fühlt sich an die Göttin Fama erinnert, die Ovid in seinen “Metamorphosen” als Phantasiebild anschaulich beschreibt. Dort heisst es unter anderem: “Mitten im Erdkreis ist zwischen Land und Meer und des Himmels Zonen ein Ort, den Teilen der Dreiwelt allen benachbart. Alles, wo es geschehe, wie weit es entfernt sei, von dort erspäht man;s, ein jeder Laut dringt hin zum Hohl seiner Ohren. Fama bewohnt ihn; sie wählte ihn zum Sitz sich die oberste Stelle, tausend Zugänge gab sie dem Haus und unzählige Luken, keine der Schwellen schloss sie mit Türen; bei Tag und bei Nacht steht es offen, ist ganz aus klingendem Erz, und das Ganze tönt, gibt wieder die Stimmen, und was es hört, wiederholt es….”

Der schweizerisch-österreichische Komponist Beat Furrer hat aus dieser Vorlage sein Hör-Theater “Fama” entwickelt – das in einem hohen Spielkasten plazierte Publikum word von Musikermn durch Öffnungen von aussen gleichsam “bespielt”. In Rebecca Saunders’”chroma” werden die Sphären zusätzlich aufgehoben: Klang, Raum, Zuhörer bilden eine geschlossene Einheit, werden sozusagen “collagiert.” Es überrascht immer wieder, wie es Saunders gelingt, ihre Ausdrucksmittel in eine bestimmte Ordnung zu integrieren, präzise Zeitabläufe für die Musik zu strukturieren, Kontraste, Farben, Gestisches plastisch zu organisieren.

Rebecca Saunders gehört heute zu den profliertesten und eigenwilligsten jüngeren Komponisten der Gegenwart – und absichtlich steht hier “Komponisten”, denn die Feminisierung der Berufsbezeichnung klingt in der Musik immer ein wenig herablassend nach “auch Frauen können komponieren”. Über diesen Status ist Rebecca Saunders eigentlich schon vom Angang ihrer Karriere an hinaus. In London 1967 geboren, studierte sie zunächst Violine an der Universität Edinburgh und Komposition bei Nigel Osborne. Anschliessend ging sie zo Wolfgang Rihm nach Karksruhe, der sie darin bestärkte, ihren eigenen kompositorischen Vorstellungen zu entwickeln. Seit den frühen neunziger Jahren entstehen die ersten Kompositionen, die grössere Aufmerksamkeit finden. Saunders wird zu den Darmstädter Ferienkursen eingeladen, wohingegen sie in ihrem Heimatland erstaunlich wenig Beachtung findet.

Rebecca Saunders gibt sich zurückhaltend, fast scheu, möchte sich lieber durch ihre Musik mitteilen als durch weitschweifige Erklärungen. Mit dem wachsenden Erfolg aber verliert sich die Scheu. Sie nimmt immer häufiger an Festivals neuer Muik teil, steht dort als “Composern in Residence” im Mittelpunkt der Aufführungen und Gespräche. Witten war die letzte Station, davor war sie schon Residenz-Komponist unter anderem in Dortmund und beim kleinen, aber feinen Festival im oberschwäbischen Weingarten.

Über ihre Arbeitsweise hat Rebecca Saunders sich oft anschaulich geäussert: “Beim Komponieren fasse ich die Klänge und Geräusche mit den Händen an, wiege sie, spüre ihre Potentiale zwischen den Handflächen. Die so entwickeltem skelettartigen Texturen und Klanggesten sind wie Bilder, die in einem weissen Raum stehen, in die Stille eingesetzt, nebeneinander, übereinander: auf der Suche nach einer intensiven Musik.”

Komponieren ist für Sauders ein quasihaptischer Prozess. Klänge, Geräusche liegen in der Substanz bereits vor, verborgen oft in irgendwelchen geheimnisvollen Strukturen, in denen sie dann durch den Komponisten aufgespürt und als Klangmaterial entwickelt werden. Dieses Klangmaterial dient als Substanz einer Komposition. Indem sich das Material – so sieht es Saunders - in den Zeitablauf einer Komposition erstreckt, wird es entsprechend aufgefächert. Dabei werden oft hohe Energien explosionsartig freigesetzt.

Bei Rebecca Saunders tritt zu der Entbergung von vorhandenen Klängen und Geräuschen oft Aussernmusikalisches. Sie spurt ähnlich prozesshafte Verfahren auch in der Dichtung un in der Malerei auf. Texte von James Joyce und Samuel Beckett evozieren bei ihr kompositorische Vorstellungen, nicht im traditionellen Sinn einer Textvertonung, sondern als analoge Übertragung der Textbedeutung in Klangestalten. Ähnlich verhält es sich bei ihr mit bestimmten Farbvorstellungen. Sioe besitzt eine deutliche Affinität zu warmen bis glühenden Rottönen und, als Kontrapunkt dazu, einem kalten, harten Blau. Bedi Saunders haben diese Farbwirkungen aber keine synästhetische Bedeutung wie etwa bei Olivier Messiaen: es gibt also keine “rotten” oder “blauen” Klangfarben, die assoziative Eindrücke hervorrufen. Auch hierbei herrscht das Prinzip der Analogie: Die psychologische Wirkung einer Farbvorgabe wird in freie Klänge übertragen. Die Musik erhält die quasipsychologische Leuchtkraft wie ein Bild von Kandinsky oder Klee.

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Mark Rothko, Untitled Black on Grey, 1969-70 ------------- Number 10 1958

Um es etwas anschaulicher darzustellen: Während ihrer Dortmunder Residenz wurde ihr Ensemble-Stück “a visible trace” (grob übsersetzt: “ein sichtbarer Weg”) uraufgeführt. Es entstand nach einem Bild Mark Rothkos mit dem Titel “No.10” aus dem Jahr 1958, das aus zwei dunkelroten Vierecken besteht. Saunders schaute das Bild immer wieder bewundernd an, wie sie sagte: “Diese einfachen, abstrakten Formen, die sehr sinnlich wirken, eine enorme Anziehungskraft ausstrahlen und gleichzeitig eine abstossende Spannung aufbauen.” Rebecca Saunders tastet nun aber nicht Rothkos Bild akribisch auf Anziehungskräfte oder Spannungsenergien ab – der “visible trace” dient ebenso der Begehung eigener Kompositionen. Sie sammelt Klangmaterialien und Klanggesten aus früheren Werken, entwirft eine hochdifferenzierte Klangfarbenstruktur für die einzelnen Instrumente, die wiederum spannungsvoll in den Gesamtklang des Ensembles integriert erscheinen. Das Ergebnis ist eine dicht komponierte, spontan und emotional anspringende Klang-Musik. Wer oft Aufführungen von Rebecca Saunders erlebt, erkennt sofort den eigenen Charakter dieser Klang-Musik, den speziellen “Saunders-Ton.”

Die Komponistin, die heute in Berlin lebt, kann inzwischen einen erstaunlich umfangreichen Werkkatalog vorweisen. Orchesterstücke, Kammermusik, Solo- und Duo-Kompositionen, Vokalwerke. Immwer wieder überraschen in vielen ihrer Stücke instgrumentale Besonderheiten: Tickende Metronome, die schon erwähnten Spieldosen, Trillerpfeifen vermischen sich mit den Klängen traditioneller Instrumente wie Akkordeon, E-Gitarre, Cello oder Klarinette. Im Jahr 2003 wagte Rebecca Saunders auch den Schritt zum Musiktheater: für die Tänzerin und Choreographin Sascha Waltz schreib sie “insideout”, Musik für eine choreohgraphische Installation, die beim Steirischen Herbst in Graz uraufgeführt wurde.

Dort steht auch die nächste Saunders-Novität beim Steirischen Herbst 2009 bevor: ein Ensemblestück, das vom “ensemble recherché” in Auftrag gegeben wurde. Und für das Oberlin College Conservatory USA entsteht eine Komposition für Trompete, Posaune, Horn, Klavier und Schlagzeug.

Zunächst aber bereitet Rebecca Saunders für die “Klangspuren” beim Festival Schwaz die nummehr zehnte Uraufführung ihrer “chroma”-Komposition vor. Das ist kein Schreibfehler: An jedem Aufführungsort gibt es die unterschiedlichsten räumlichen Bedingungen. Diese erfordern immer wieder neue Anordnungen, Veränderungen und Ergänzungen des Klangmaterials. Keine “chroma’-Aufführung ist mit einer der vorausgegangenen vergleichbar. Für Ovid wäre das kein Problem: Er würde die Göttin Fama bitten, alles in ihrem Himmelshaus zu sammeln und zur Einheit zu zwingen. Rebecca Saunders allerdings hätte dann schon die nächsten “chroma”-Fortsetzungen kreiert. Unter den Komponisten der Gegenwart gehört sie zu den phantasievollsten and avanciertesten.

 

 

Originally published in the Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27 August2008

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Texts and commentaries on the 2008 lab and related research subjects will be published here.